Karl Philipp Moritz, “Improvisatoren”

Moritz describes the general character of Italian improvisatori according to his own experience of watching an unnamed Venetian improvisatore perform on several occasions in a public square. Moritz’s description emphasizes the enthusiasm of the improvisatore for his art, his lack of concern for money and material things, and his hunger for applause.

Performer Name:
 
Performance Venue:
Rome
Performance Date:
 
Author:
Moritz, Karl Philipp
Date Written:
1787
Language:
German
Publication Title:
Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788
Article Title:
Improvisatoren
Page Numbers:
2:355-57
Additional Info:
Qtd. from vol. 2 of Werke, 3 vols.; ed. Horst Günther.
Publisher:
Insel
Place of Publication:
Frankfurt
Date Published:
1981

Text:

[355] Ich soll Ihnen eine Schilderung von den Improvisatoren machen: ich will sie Ihnen zu beschreiben suchen, so wie ich sie hier habe kennenlernen.

Es ist unglaublich, was ein solcher Improvisatore für einen Umfang von Kenntnissen in der Geschichte und Mythologie besitzen muß, wenn er nicht mit Schande bestehen will; denn er muß sich jede Aufgabe gefallen lassen, wenn sie auch den speziellsten Umstand aus der Geschichte oder Mythologie betrifft, und muß sogleich gefaßt sein, diesen gegebenen Umstand aus dem Stegreife zu besingen.

Es ist zu verwundern, daß einer, der diese Kenntnisse besitzt, sie nicht besser zu seinem Vorteil und zu seiner Ehre anwendet; allein es scheint, daß eine wirkliche enthusiastische Neigung die Improvisatoren zu diesem Geschäfte treibt, wo sie den Beifall des Volks sich aus der ersten Hand erwerben können und in dem Moment der [356] Bestrebung auch unmittelbar die Belohnung ihres Talents einernten.

Auch sind die Improvisatoren nicht so ganz verachtet; unter dem Zirkel von Menschen, der sich auf der Straße um sie her versammelt, finden sich Personen aus allen Ständen, und es ist nicht bloß der Pöbel, vor welchem ihr Genie sich entwickelt.

Ein Venezianer, der vorzüglichen Beifall findet, läßt sich jetzt alle Nachmittage auf dem Spanischen Platze hören. Der Kreis, der sich um ihn her versammelt, wird immer zahlreicher, sowie das Feuer seiner Begeisterung zunimmt, und wer einmal stillsteht, um ihm zuzuhören, entfernt sich nicht so bald wieder; ich pflege ihn nicht leicht einen Nachmittag zu versäumen.

So oft er ausgesungen hat, geht er im Kreise umher und bittet sich von einem der Anwesenden eine neue Aufgabe zu einem Gesange aus. Sobald er die Aufgabe erhalten hat, sinnt er nur einige Minuten nach und hebt alsdann sein Gedicht nach einem gewissen Takt und Melodie ordentlich singend an, so daß man in die Zeiten der ältesten Dichtkunst sich zurückversetzt glaubt.

Wenn ihm nun etwa ein Stück aus der alten römischen Geschichte zu besingen aufgegeben wird, so weiß er, besonders durch die Benutzung des Lokalen, das Interesse des Volkes, das ihm zuhört, und das sich noch immer das römische dünkt, oft in einem solchen Grade zu erregen, daß ein wiederholter Beifallszuruf seinen Gesang unterbricht, der sich alsdann mit neuem Feuer unter diesem Zuruf wieder emporarbeitet; und um manche Verse, die in dieser wachsenden Begeisterung sich bilden, ist es wirklich schade, daß keine Hand sie aufschreibt, und daß der Wind sie verweht.

Dieser Venezianer ist wirklich aus bloßer Neigung ein Poet aus dem Stegreife. Er ist von guter Herkunft und wurde in seiner Vaterstadt als Advokat wegen seiner Geschicklichkeit vorzüglich geschätzt und gesucht; seine Freunde und Anverwandte suchten ihn auf alle Weise bei einer ordentlichen Lebensart zu erhalten; er entwischte ihnen aber mehrmalen, um seinem unwiderstehlichen Hange zu folgen, und als Improvisatore die Städte Italiens zu durchziehen.

Der Beifall des Volks, das seine Lieder hört, geht ihm über alles; das Geld verachtet er; ein kleiner Knabe, den er bei sich hat, geht nach Endigung eines Gesanges mit dem Hute in der Hand im Kreise herum, und ein jeder, wer will, wirft etwas hinein, wo denn manchmal, wenn der Beifall recht groß ist, die Ernte so reichlich [357] ausfällt, daß der Knabe den Hut mit Münze halb angefüllt zurückbringt.

Der verschwenderische Dichter aber achtet zuweilen im Taumel seiner Begeisterung, wo alle Schätze und Reichtum der Erde in der Gewalt seiner Phantasie sind, der verächtlichen Münze nicht, sondern schleudert sie umher, indem er den angefüllten Hut auf den Kopf setzt, und nur das für sich behält, was zufälligerweise zwischen seinem Hut und Scheitel noch liegenbleibt.

Zuweilen ist dieser Volkspoet sehr ordentlich gekleidet, gepudert, Chapeau bas, und mit dem Degen an der Seite; zuweilen geht er wieder äußerst zerlumpt einher — denn da er in seiner idealischen Dichterwelt seine vorzüglichste Existenz hat, so kümmert er sich nicht viel um die gemeinen Bedürfnisse des Lebens.

Er wird oft in die Paläste der Großen gefordert, wo er im Zimmer vor einer glänzenden Versammlung seine Stanzen rezitiert. Es scheint ihm aber weit mehr Vergnügen zu machen, wenn er auf irgendeinem Platze unter freiem Himmel einen vermischten Volkshaufen um sich her versammeln, und gleich einem Orpheus, die rohesten Gemüter, und den wildesten Pöbel bewegen kann, seinem Gesange zuzuhorchen.

Diesen Endzweck erreicht er wirklich, und es ist einem ein angenehm überraschender Anblick, wenn man in diesem Kreise den groben Faquino (Sackträger) neben dem feinen Abbate lauschend stehen, und ebenso wie jenen, bei den schönsten Stellen seinen Beifall bezeigen sieht. —

Notes:

 

Collected by:
DP