O. L. B. Wolff, Portraits und Genrebilder: Erinnerungen und Lebens-Studien

In this autobiographical introduction, Wolff relates how he invented improvisation in German, undertaking a quest to obtain advice and evaluations of whether his talent is or is not genuine. Wolff doesn't trust the judgement of journalists and critics, which he believes derives from their jealousy of him. Instead, he will listen to the opinions of admiring audiences and true artists, above all Goethe. Goethe finally gives him the advice he was seeking — which also leads, however, to the end of Wolff's brief career as a touring improviser when Goethe critiques his improvisations as too sentimental and subjective.

Performer Name:
Wolff
Performance Venue:
Bremen, Hannover, Celle, Braunschweig, Wolfenbüttel, Berlin, Weimar, Hamburg
Performance Date:
1825-26
Author:
Wolff, Oscar Ludwig Bernhard
Date Written:
1838
Language:
German
Publication Title:
Portraits und Genrebilder: Erinnerungen und Lebens-Studien
Article Title:
Eigenes. Statt der Vorrede
Page Numbers:
xlviii-xciv
Additional Info:
Part 1
Publisher:
 
Place of Publication:
Cassl and Leipzig
Date Published:
1839

Text:

[xlviii] Bei der Lebhaftigkeit, mit der ich alles Neue zu ergreifen und [xlix] mir anzueignen pflegte, kam ich sogleich auf die Frage, warum niemals bei den nördlichen Nationen sich Ähnliches gezeigt habe. Mein eben so welterfahrener als gelehrter Mentor antwortete mir nicht ohne einigen versteckten Hohn, sie könnten es nicht, die Natur habe es ihnen nicht gegeben, ihr Blut fliesse zu langsam durch die Adern; dergleichen könne man nur, wenn man das Feuer der Söhne des Südens besitze, und in jenen herrlichen Umgebungen, welche den Geist schön ohne sein Zuthun poetisch stimmten, aufgewachsen sei.

[xci] Tieck, dem ich später Goethe's Ausspruch erzählte, schüttelte zwar mit dem Kopfe, sagte mir aber nicht genau seine Meinung, wie ich überhaupt kein entschiedenes Urtheil über meine Improvisationen von ihm erlangen konnte, so freundlich er sich auch dafür interessirte und so oft er mich auch dazu aufforderte. […] Noch während meiner Anwesenheit in Weimar wurde mir von Goethe’s erhabenem Freunde, dem Grossherzoge Karl August, eine Professur am dortigen Gymnasium angetragen, die ich mit lebhaftem Danke annahm. Da ich schon längst im Innern grossen Widerwillen gegen diese Art, mein Talent zu Markte zu tragen, [xcii] (und doch liess es sich nicht anders machen, wollte ich es öffentlich produciren), empfunden hatte. Der Deutsche besitzt einmal eine seltsame Abneigung gegen alle Öffentlichkeit, deren Zweck der Gelderwerb ist und wird dadurch leicht ungerecht gegen Personen, die auf solche Weise ein Talent oder eine Kunst ausüben, weil er meint, sie mit seinem Mammon abfinden zu können und sich daher hoch über sie stellt. Es ist dies eigentlich ein entsetzlich philisterhafter Zug, aber er beruht auf unserem innersten Wesen und wird sich sobald nicht ausrotten lassen. Muss ich nicht noch jetzt, nach dreizehn Jahren, während deren ich der Laufbahn, für die ich mich schon als Student bestimmte, treu geblieben bin, häufig das Wort Improvisator, als Beiwort zu meinem Namen gesetzt, wie eine Art von Vorwurf lesen, mit dem man mir zu verstehn geben will, dass ich eigentlich nie Zunftrecht in der gelehrten Welt finden dürfe, weil ich einmal durch mein persönliches Hinaustreten in die Öffentlichkeit, wenn auch nur auf einer kaum halbjährigen Kunstreise, die der gelehrten Zunft angewiesenen Schranken durchbrochen habe. Was bei jeder anderen Nation stets rühmliche Erwähnung finden würde, namentlich, wenn Jemand dort, wie ich in Deutschland, der Erste gewesen [xciii] der es versucht hätte, etwas als möglich zu beweisen, was man bisher bei seinem Volke für unmöglich gehalten, das findet bei uns einen heimlichen Tadel, zwar nur von Stubengelehrten, die mich weder gehört noch überhaupt einen Begriff von der ganzen Sache haben, oder von neidischen Journalisten, die in ihrer Impotenz jede selbstständige Kraft hassen, aber es findet ihn doch und keine Stimme erhebt sich dagegen. — Dieser Kampf mit spiessbürgerlicher Beschränktheit und den daraus entspringenden Anmassungen und Überhebungen lähmt jeden freien Ausflug, tödtet jegliches Talent vor der Zeit. In Frankreich und England ist Jeder, der eine freie Kunst frei ausübt, in der Gesellschaft ein Edelmann, bei uns ein Paria, den man wohl an grossen Tagen zur Unterhaltung der Gäste in seine Kreise zieht, der aber dann auch auf Commando singen oder pfeifen soll, und streng betrachtet, doch der Ehre, die man ihm dadurch erweist unwerth ist. — Ansprüche darf er nun vollends nicht machen, und wehe ihm, wenn er sich einfallen lassen will, einmal seine Künste nicht produciren, und anstatt zu amusiren, selbst amusirt sein, kurz auf gleicher Höhe mit den übrigen Eingeladenen stehn zu wollen. — Nur in den höchsten Gesellschaften findet eine ehrenvolle [xciv] Behandlung eines Künstlers und eine Gleichstellung mit jedem anderen Anwesenden Statt; unsere höchsten Gesellschaften sind aber auch nicht mehr deutsch, sondern europäisch. —

Dies hatte ich mir auch keinesweges verhehlt, trotz dem Weihrauch, der mir zu Zeiten, oft bis zum Ersticken, gestreut worden war, und ich ergriff daher willig die mir dargebotene ehrenvolle Gelegenheit, zu einer festen bürgerlichen Stellung zurückzukehren, zumal da ich formell mein Talent nach allen Richtungen hin gebildet, und nicht allein es dahin gebracht hatte, lyrisch, episch und dramatisch zu improvisiren, sondern auch mir jede Beschränkung, wie z.B. eigenthümliche Strophenbildung, bestimmte Wörter und Reime, mit denen ich anfangen oder enden sollte und dergleichen Spielereien mehr, zugleich mit dem Thema vorschreiben zu lassen, ohne dass mich das im Mindesten störte. — Nachdem ich daher noch Leipzig und Dresden besucht und hier eine überaus freundliche, mich wahrhaft beglückende Aufnahme gefunden, kehrte ich auf kurze Zeit nach Hamburg zurück, nahm daselbst, wo ich zuerst aufgetreten, in einer improvisatorischen Soiree von Freunden und Gönnern, so wie von der öffentlichen Ausübung meines Talentes Abschied und trat dann, am 9ten Mai 1826 (Schillers Todestage) mit frischem Muthe in mein neues Amt ein, das ich später mit meinem jetzigen Berufe vertauschte.

Notes:

Collected by:
AE