“Die heutigen Improvisatoren in Italien”

An article describing improvisation in Italy, with specific accounts of performances by Sgricci and Taddei in Rome, based on the travel writings of Wilhelm Müller. The author of the article appreciates the talents of both improvisatori, but does not view improvisation as an advancement of art and poetry more generally.

Performer Name:
Taddei; Sgricci
Performance Venue:
Rome
Performance Date:
1818
Author:
 
Date Written:
1820
Language:
German
Publication Title:
Morgenblatt für gebildete Stände
Article Title:
Die heutigen Improvisatoren in Italien
Page Numbers:
578-80
Additional Info:
16 June 1820 issue (No. 144)
Publisher:
J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Place of Publication:
Stuttgart and Tübingen
Date Published:
1820

Text:

[578] Dante, der Sänger der göttlichen Komödie, starb 1321, in demselben Jahrhundert blühten auch Petrarca und Bocaccio, in Deutschland sammelte damals Rüdiger von Manesse die Minnelieder, Tyll Eulenspiegel mag ein Zeitgenosse der Meistersänger seyn, die nach der Ritterpoesie, welche mehr in den Fürstensälen und auf den Ritterburgen ihre Heimath hatte, in den aufblühenden Städten sich an die Gilden und Zünfte anschlossen. So hatten wir in Deutschland wandernde Sänger und Improvisatoren, während in Italien die großen Dichter auftraten. Vierhundert Jahre [579] nach Dante, lebt in Deutschland Goethe, und in Italien werden wandernde Musageten und Improvisatoren mit Kränzen und Siegeszeichen geschmückt. Daß das Beste geleistet werde, wo viele dichten, hat die Geschichte nirgend gelehrt; wo Einer gefeiert ward, oder Wenige, da vertheilte die Poesie einen gültigeren Preis, als wo die Menge sich in ihren heiligen Hain drängte. Und so nehmen auch die Italiener es als ein Zeichen des Verfalls ihrer Dichtkunst an, daß sie zur Kunst der Improvisatoren geworden ist. Zu unbillig aber wäre das Urtheil, wenn wir die heutigen besseren Improvisatoren in Italien nur neben die Meistersänger des vierzehnten Jahrhunderts stellen wollten; zwar giebt es dort auch Straßenimprovisatoren, Bänkelsänger, die bereit sind, über jedes gegebene Thema mit Text und Musik und Gesang zugleich aufzutreten, doch unterscheiden diese sich gar sehr von denen, die im theatro della Valle und im venetianischen Pallast in Rom Akademien geben.

Hr. W Müller aus Dessau, der sich 1817 mit dem preußischen Kammerherrn von Sack auf Reisen begab, uns Hoffnung machte, sich nach Athen zu wenden, und von da aus neuen Aufschluß über alte Trümmer zu geben, hat nur Italien erreicht und sich hier, wie Hannibal, wenn auch nicht in Capua, festhalten lassen; ante portas blieb er aber auch nicht, sondern trat ein in die ewige Roma. Er rühmt in seinem Reiseberichte* besonders zwey Improvisatoren, die er in Rom hörte: Rosa Taddei, als Arkadierin, Licori Partenopea genannt, ein seibenzehnjähriges Mädchen, und Tommaso Sgricci aus Arezzo, der sich als Arkadier Terpandro nennt.

Rosa Taddei gab mehrere Akademien im Theatro della Valle; der Hergang dabey ist gewöhnlich dieser: An dem Eingang zum Paterre steht eine silberne Urne, in die ein jeder Hereintretende einen Zettel mit einer Aufgabe werfen darf. Eine einfache Musik kündigt den Auftritt der Dichterin an, sie erscheint, die silberne Urne wird ihr auf das Theater gebracht, ein Fremder zieht eine bestimmte Anzahl von Aufgaben hervor, liest die laut ab, und übergiebt sie der Dichterin. In der Akademie, die sie am 24. Febr. 1818 gab, wurden folgende Aufgaben gezogen: La Morte del Conte Ugolino, Saffeo e Faone, la Morte d'Ifigenia, la Morte d'Egeo, il cinto di Venere, Coriolano. Eh sie das erste Gedicht begann, ging sie, sich besinnend, einigemal auf und ab, dann nannte sie dem Orchester eine Nummer, dieß spielte ein Gesangstück einigemal durch, und nun fiel sie mit ihrer Klage, um den Grafen Ugolino ein, bald singend, bald deklamirend, so daß es den Italienern, die an ein Parlando, an ein Recitativo Secco in ihren Opern gewöhnt sind, harmonisch genug dünken mochte. Zu jeder Aufgabe bestellte sie neue Musik, forderte von dem Publikum zuweilen Intercalarverse und Endreime, ließ sich auch die Form einiger Gedichte vorschreiben. Nach jedem Vortrage sank sie erschöpft auf den Sessel, der heilige Wahnsinn, der sie während des Gesanges ergriff, zog immer eine Ohnmacht nach sich, aus der sie der rauschende Beyfall der Menge und ein Glas Eiswasser wieder weckte.

Tommaso Sgricci trat zuerst in Florenz und einigen andern toskanischen Städten, dann in Venedig und Mailand auf, und gab in der großen Fastenzeit 1818 in Rom vier Akademien im venetianischen Pallaste. Er trägt seine Aufgabe ohne Musik vor und ist von so außerordentlichem Reichthum, Gewandtheit und Gegenwart des Geistes, und so geschickt in dramatischer Darstellung, daß er nicht etwa nur einzelne Romanzen, wo ihm Gegenstand und Versmaaß gegeben wird, sogleich vorträgt, sondern unter seine Aufgaben fordert er Sujets zu Trauerspielen, die er dichtend aufführt. Die verschieden handelnden Personen weiß er durch Stimmenunterschied, durch Haltung und Wendung des Körpers genau zu bezeichnen, daß er Uebermenschliches zu leisten scheint. In einer der Akademien, die er gab, wurden folgende Aufgaben gezogen: Le Nozze di Amore e Psiche in Terzianen. La Morte di Saffo in Versi Sciolti La Morte di Socrate, Tragödie in drey Abtheilungen mit Chören. Nur unter italienischem Himmel kann so glühende Begeisterung reifen, und nur diese romanische Sprache ist biegsam, melodisch und reich genug, um so aufwellenden Gefühlen Worte zu geben und diesem unbändig vorüberrauschenden Geiste ein Kleid zu leihen, wodurch er menschlichen Augen sichtbar wird. Die deutsche Sprache fordert dagegen von dem Dichter, daß er mit Ernst den Gedanken fasse, und will er zumal reimen, dann ist ihm noch ein Gebiß mehr angelegt; in Italien würde niemals Einer darauf kommen, ein Noth- und Hülfsbuch für die Poeten, wie Hübners Reimlexicon, anzulegen. —

Die Academia Tiberina gab dem Dichter zu Ehren ein Fest, wo ihm die goldne Ehrenmedaille überreicht wurde. Auch hier hatte er sich zu einer Darstellung erboten, aus den gesammelten Aufgaben zog ein Akademiker diese zwey: Coriolano in Versi Sciolti und la Morte di Lucretia, Tragödie in drey Abtheilungen mit Chören. Hier vornehmlich, wo er zum erstenmale als gekrönter Poet auftrat, überbot er an Anstrengung und Ausführung sine früheren Leistungen, und wenn auch, niedergeschrieben, seine Dichtungen sich oft etwas grau ausnehmen würden, so ist doch ihr Farbenspiel während der Darstellung so heiter und erfreulich und durch seinen Vortrag so ergreifend, daß er für den größten Meister seiner Kunst allgemein in Italien geachtet wird. Ein Fortschreiten der Kunst im Allgemeinen kann aber dieses Improvisiren nicht genannt werden, vielmehr ist es ein unverkennbarer Rückschritt, denn wenn [580] der Poesie zu ihrem Elemente der Gedanke, das Wort gegeben ist, so scheint sie durch dieß Improvisiren wiederum mehr in den Bereich der Musik, wo das Gefühl nie zum klaren Bewusstseyn kommt, zurückzufallen.

Unerklärlich würde es seyn, wie die Improvisatoren jeder Aufgabe genügen, wenn sie nicht von den Gemeinplätzen der römischen und griechischen Mythologie und Geschichte einigen Stoff bearbeitet, bey sich im Kopfe herumtrügen, und so helfen sie auch in den improvisirten Dramen sich mit vorräthigen Scenen, und von dem sterbenden Sokrates hört man heute Aehnliches wieder, was man gestern von dem sterbenden Seneca hörte, wie man sich auf jedem Theater es auch gefallen lassen muß, zwischen den Wänden, die heute das Zimmer der Prinzessin Eboli schmuückten, morgen die Vestalin zu finden. Sgnr. Sgricci unterscheidet sich jedoch an gründlicher, wissenschaftlicher Bildung vortheilhaft von allen andern Zunftgenossen.

* Rom, Römer und Römerinnen, eine Sammlung vertrauter Briefe aus Rom und Albano von W. Müller. Berlin 1820. Bey Dunker und Humblot.

Notes:

Collected by:
AE