Joseph Freiherr von Eichendorff, Ahnung und Gegenwart

In Eichendorff’s novel, the character Friedrich watches a beautiful baroness improvise a poem about a young witch who finds herself locked in a castle impenetrable to all suitors. The baroness cuts off the performance before it reaches a satisfying conclusion, and a discussion as to the allegorical significance of its female protagonist ensues. Friedrich compares the baroness to a Welsh improvisatrice in his mind.

Performer Name:
 
Performance Venue:
 
Performance Date:
 
Author:
Eichendorff, Joseph Freiherr von
Date Written:
 
Language:
German
Publication Title:
Ahnung und Gegenwart
Article Title:
 
Page Numbers:
208-16
Additional Info:
 
Publisher:
Johann Leonhard Schrag
Place of Publication:
Nürnberg
Date Published:
1815

Text:

[208] Er erholte sich recht an der erfrischenden Schönheit Rosa’s, in deren Gesicht und Gestalt unverkennbar der herrliche, wilde, oft ungenießbare Berg- und Waldgeist ihres Bruders zur ruhigeren, großen, schönen Form geworden war. Sie kam ihm diesen Abend viel schöner und unschuldiger vor, da sie sich fast gar nicht in die gelehrten Unterhaltungen mit einmischte. Höchstanziehend und zurückstoßend zugleich erschien ihm dagegen ihre Nachbarin, die Junge Gräfin Romana, welche er sogleich für die griechische Figur in dem Tableau erkannte, und die daher heute allgemein die schöne Heydinn genannt wurde. Ihre Schönheit war durchaus verschwenderischreich, südlich und blendend und überstrahlte Rosa’s mehr deutsche Bildung [209] weit, ohne eigentlich vollendeter zu seyn. Ihre Bewegungen waren feurig, ihre großen, brennenden, durchdringenden Augen, denen es nicht an Strenge fehlte, bestrichen Friedrich’n wie ein Magnet. Als endlich der Schmachtende seine Vorlesung geendigt hatte, wurde sie ziemlich unerwartet um ihr Urtheil darüber befragt. Sie antwortete sehr kurz und verworren, denn sie wußte fast kein Wort davon; sie hatte während deß heimlich ein auffallend getroffenes Portrait Friedrichs geschnitzt, das sie schnell Rosa’n zureichte. — Bald darauf wurde auch sie aufgefordert, etwas von ihren Poesieen zum Besten zu geben. Sie versicherte vergebens, daß sie nichts bey sich habe, man drang von allen Seiten, besonders die Weiber mit wahren Judasgesichtern, in sie, und so begann sie, ohne sich lange zu besinnen, folgende Verse, die sie zum Theil aus der Erinnerung hersagte, größtenteils im Augenblick erfand und durch ihre musikalischen Mienen wunderbar belebte:

Weit in einem Walde droben Zwischen hoher Felsen Zinnen, Steht ein altes Schloß erhoben, Wohnet eine Zaub’rin drinne. Von dem Schloß, der Zaub’rin Schöne Gehen wunderbare Sagen, Lockend schweifen fremde Töne Plötzlich her oft aus dem Walde. Wem sie recht das Herz getroffen, Der muß nach dem Walde gehen, [210] Ewig diesen Klängen folgend, Und wird nimmer mehr gesehen. Tief in wundersamer Grüne Steht das Schloß, schon halbverfallen, Hell die goldnen Zinnen glühen, Einsam sind die weiten Hallen. Auf des Hofes stein’gem Rasen Sitzen von der Tafelrunde All’ die Helden dort gelagert, Ueberdeckt mit Staub und Wunden. Heinrich liegt auf seinem Löwen, Gottfried auch, Siegfried der Scharfe, König Alfred, eingeschlafen Ueber seiner goldnen Harfe. Don Quixot hoch auf der Mauer Sinnend tief in nächt’ger Stunde, Steht gerüstet auf der Lauer Und bewacht die heil’ge Runde. Unter fremdes Volk verschlagen, Arm und ausgehöhnt, verrathen, Hat er treu sich durchgeschlagen, Eingedenk der Heldenthaten Und der großen alten Zeiten, Bis er, ganz von Wahnsinn trunken, Endlich so nach langem Streiten Seine Brüder hat gefunden.

Einen wunderbaren Hofstaat Die Prinzessin dorthin führet, Hat ein’n wunderlichen Alten, Der das ganze Haus regieret. Einen Mantel trägt der Alte, Schillernd bunt in allen Farben Mit unzähligen Zierrathen, Spielzeug hat er in den Falten. [211] Scheint der Monden helle draussen, Wolken fliegen über’m Grunde: Fängt er draussen an zu hausen, Kramt sein Spielzeug um den Alten Rührt sich bald beym Mondenscheine, Zupfet ihn beym langen Barte, Schlingt um ihn die bunten Kreise Auch die Blümlein nach ihm langen, Möchten doch sich sittsam zeigen, Zieh’n verstohlen ihn beym Mantel, Lachen dann in sich gar heimlich. Und ringsum die ganze Runde Zieht Gesichter ihm und rauschet, Unterhält aus dunklem Grunde Sich mit ihm als wie im Traume. Und er spricht und sinnt und sinnet, Bunt verwirrent alle Zeiten, Weinet bitterlich und lachet, Seine Seele ist so heiter.

Bey ihm sitzt dann die Prinzessin, Spielt mit seinen Seltsamkeiten, Immer neue Wunder blinkend Muß er aus dem Mantel breiten. Und der wunderliche Alte Hielt sie sich bey feinen Bildern Neidisch immerfort gefangen, Weit von aller Welt geschieden. Aber der Prinzessin wurde Mitten in dem Spiele bange Unter diesen Zauberblumen, Zwischen dieser Quellen Rauschen. [212] Frisches Morgenroth im Herzen Und voll freudiger Gedanken, Sind die Augen wie zwey Kerzen, Schön die Welt dran zu entflammen. Und die wunderschöne Erde, Wie Aurora sie berühret, Will mit ird’scher Lust und Schmerzen Ewig neu sie stets verführen. Denn aus dem bewegten Leben Spüret sie ein Hochzeitsgrüßen, Mitten zwischen ihren Spielen Muß sie sich bezwungen fühlen.

Und es hebt die ewig Schöne, Da der Morgen herrlich schiene, In den Augen große Thränen, Hell die jugendlichen Glieder. "Wie so anders war es damals, Da mich, bräutlich Ausgeschmückte, Aus dem heymathlichen Garten Hier herab der Vater schickte! Wie die Erde frisch und jung noch, Von Gesängen rings erklingend, Schauernd in Erinnerungen, Helle in das Herz mir blickte, Daß ich, schamhaft mich verhüllend, Meinen Ring, von Glanz geblendet, Schleudert’ in die prächt’ge Fülle, Als die ew’ge Braut der Erde. Wo ist nun die Pracht geblieben, Treuer Ernst im rüst’gen Treiben, Rechtes Thun und rechtes Lieben Und die Schönheit und die Freude? Ach! Ringsum die Helden alle, Die sonst schön und helle schauten, [213] Um mich in den lichten Tagen Durch die Welt sich fröhlich hauten, Strecken steinern nun die Glieder, Eingehüllt in ihre Fahnen, Sind seitdem so alt geworden, Nur ich bin so jung wie damals. — Von der Welt kann ich nicht lassen, Liebeln nicht von fern mit Reden, In den Arm lebendig fassen! — Laß mich lieben, laß mich leben!"

Nun verliebt die Augen gehen Ueber ihres Gartens Mauer, War so einsam dort zu sehen Schimmernd Land und Ström’ und Auen. Und wo ihre Augen giengen: Quellen aus der Grüne sprangen, Berg und Wald verzaubert standen Tausend Vögel schwirrend sangen. Golden blitzt es über’m Grunde, Seltne Farben irrend schweiffen, Wie zu lang entbehrten Feste Will die Erde sich bereiten. Und nun kamen angezogen Freyer bald von allen Seiten, Federn bunt im Winde flogen, Jäger schmuck im Walde reiten. Hörner munter drein erschallen Auf und munter durch das Grüne, Pilger fromm dazwischen walten, Die das Heymathsfieber spüren. Auf vielsonn’gen Wiesen flöten Schäfer bey Schneeflock’gen Schafen, Ritter in der Abendröthe Knien auf des Berges Hange, [214] Und die Nächte von Guitarren Und Gesängen weich srschallen, Daß der wunderliche Alte Wie verrückt beginnt zu tanzen. Die Prinzessin schmückt mit Kränzen Wieder sich die schönen Haare, Und die vollen Kränze glänzen Und sie blickt verlangend nieder.

Doch die alten Helden alle, Draussen vor der Burg gelagert, Saßen dort im Morgenglanze, Die das schöne Kind bewachten. An das Thor die Freyer kamen Nun gesprengt, gehüpft, gelaufen, Ritter, Jäger, Provenzalen, Bunte, helle, lichte Haufen. Und vor allem junge Recken Stolzen Blocks den Berg berannten, Die die alten Helden weckten, Sie vertraulich Brüder nannten. Doch wie diese uralt blicken, An die Eisenbrust geschlossen, Brüderlich die Jungen drücken, Fallen die erdrückt zu Boden. Andre lagern sich zum Alten, Graust ihn’n gleich bey seinen Mienen, Ordnen sein verworrenes Walten, Daß es jedem wohlgefiele; Doch sie fühlen schauernd balde, Daß sie ihn nicht können zwingen, Selbst zu Spielzeug sich verwandelt, Und der Alte spielt mit ihnen. Und sie müssen thöricht tanzen, Manche mit der Kron’ geschmücket [215] Und im purpurnem Talare Feyerlich den Reigen führen. Andre schweben lispeld lose, Andre müssen männlich lärmen, Rittern reissen aus die Roße Und die schreyen ger erbärmlich. Bis sie endlich alle müde Wieder kommen zu Verstande, Mit der ganzen Welt im Frieden, Legen ab die Maskerade. "Jäger sind wir nicht, noch Ritter," Hört man sie von fern noch summen, "Spiel nur war das — wir sind Dichter!" — So vertost der ganze Plunder, Nüchtern liegt die Welt wie ehe, Und die Zaub’rin bey dem Alten Spielt die vor’gen Spiele wieder Einsam wohl noch lange Jahre. —

Die Gräfin, die zuletzt mit ihrem schönen, begeisterten Gesicht einer welschen Improvisatorin glich, unterbrach sich hier plötzlich selber, indem sie laut auflachte, ohne daß jemand wußte, warum? Verwundert fragte alles durcheinander: Was lachen Sie? Ist die Allegorie schon geschlossen? Ist das nicht die Poesie? — Ich weiß nicht, ich weiß nicht, lachte die Gräfin lustig und sprang auf.

Von allen Seiten wurden nun die flüchtigen Verse besprochen. Einige hielten die Prinzessin im Gedicht für die Venus, andere nannten sie die Schönheit, andere nannten sie die Poesie des Lebens. — Es mag wohl die Gräfin selber seyn, [216] dachte Friedrich. — Es ist die Jungfrau Maria, als die große Welt-Liebe, sagte der genialische Reisende, der wenig Acht gegeben hatte, mit vornehmer Nachlässigkeit. Ey, daß Gott behüte! brach Friedrich, dem das Gedicht der Gräfin heydnisch und übermüthig vorgekommen was wie ihre ganze Schönheit, halb lachend und halb unwillig aus: Sind wir doch kaum des Vernünftelns in der Religion los, und fangen dagegen schon wieder an, ihre festen Glaubenssätze, Wunder und Wahrheiten zu verpoetisiren und zu verflüchtigen. In wem die Religion zum Leben gelangt, wer in allem Thun und Lassen von der Gnade wahrhaft durchdrungen ist, dessen Seele mag sich auch in Liedern ihrer Entzückung und des himmlischen Glanzes erfreuen. Wer aber hochmüthig und schlau diese Geheimnisse und einfältigen Wahrheiten als beliebigen Dichtungsstoff zu überschauen glaubt, wer die Religion, die nicht dem Glauben, dem Verstande oder der Poesie allein, sondern allen dreyen, dem ganzen Menschen, angehört, bloß mit der Phantasie in ihren einzelnen Schönheiten willkührlich zusammenrafft, der wird eben so gern an den griechischen Olymp glauben, als an den Christenthum, und eins mit dem andern verwechseln und versetzen, bis der ganze Himmel furchtbar öde und leer wird. — Friedrich bemerkte, daß er von mehreren sehr weise belächelt wurde, als könne er sie nicht zu ihrer freyen Ansicht erheben.

Notes:

 

Collected by:
AE