Johann Wilhelm von Archenholtz, England und Italien

Archenholtz writes disparagingly of Corilla’s coronation as an abasement of poetry in general; Corilla’s talent cannot be compared with that of the superior German poet Anna Louisa Karsch. Archenholtz describes an impressive open-air by an unnamed Venetian improviser, one of many he witnessed while in Italy, but in general he considers Italian poetic improvisation far inferior to the spontaneous rhetorical skill displayed by English gentlemen.

Performer Name:
Corilla; Karsch
Performance Venue:
Rome
Performance Date:
 
Author:
Archenholtz, Johann Wilhelm von
Date Written:
 
Language:
German
Publication Title:
England und Italien
Article Title:
Part II: Italien
Page Numbers:
277-82
Additional Info:
2nd expanded edn. Qtd from facsimile rpt ed. Michael Maurer (Heidelberg: Winter, 1993)
Publisher:
 
Place of Publication:
Leipzig
Date Published:
1787

Text:

[277] Es ist hier hinreichend einige Sonnetten zusammengeschmiedet zu haben, um für einen Dichter zu gelten, ein Titel, der von dem Pöbel aller Nationen nicht recht geachtet wird. Die Ehre, den poetischen Loorbeer auf dem Capitol zu erhalten, führte ehedem etwas erhabenes mit sich, daher man auch zu dieser Scene den ehemals so verehrungswürdi- [278] gen Erdraum erwählt hatte, der jezt immer mehr und mehr herabgewürdigt wird. Wenn Tasso daselbst gekrönt wurde, so klatscht Europa noch jezt nach zweyhundert Jahren seinen Beyfall dazu. Wenn aber eine Corilla diesen Lorbeer erhält, so hört er auf eine Ehre zu seyn, und diese Ceremonie wird zu einer lächerlichen Farce. Diese so unverdient berühmt gewordene Person ist als Dichterin so tief unter unsrer Karschin, daß eine Parallel zwischen Beiden ziehn, letztere beschimpfen hieße.* Das ganze Verdienst dieser Signora besteht im Improvisiren, wodurch sie gewöhnlich bey Alltagsköpfen Bewunderung erregt; da aber dieses Talent, wovon ich hernach reden werde, von den Römern eben nicht besonders hochgeschäzt wird, so wäre an eine poetische Krönung nie gedacht worden, wenn nicht die mächtige Protection von einem der vornehmsten Kardinäle diese Krönungssache, ungeachtet des Widerspruchs von ganz Rom, durchgesezt [279] hätte. Dieser Kardinal, von dem man versichert, daß er etwas mehr als Freundschaft für die Stegreifreimerin (improvisatrice) empfand, ließ sich durch das Geschrey des Volks nicht von seinem Vorsaz abwendig machen. Der Pabst gab seine Einwilligung dazu; Corilla wurde gekrönt, ausgepfiffen, vom Gassenpöbel beschimpft, vom Dichterpöbel besungen, und von Fürsten beschenkt. Sie verließ schleunig Rom, und lebt jetzt zu Florenz.

Die Improvisatoren wählen gewöhnlich den Plaz von Termini, um hier ihre Künste zu zeigen. Dieses versteht sich von den herumziehenden, denn es giebt andre, die nur in Gesellschaften und ohne alle Belohnung improvisiren; zu welcher leztern Klasse denn auch die vorerwähnte Corilla gehört. Gemeiniglich geschieht diese Stegreifreimerey singend, und wird durch eine Violine accompagnirt; ja manche dieser Virtuosen können nicht ohne dieses Instrument ihre Muse in Gang bringen. Die herumziehenden aber müssen sowohl redend als singend, mit und ohne Instrument geübt seyn, das aufgegebene Thema zu bereimen. Man würde sich irren, wenn man dieses Talent als etwas besonders ansähe. Der Reichthum der italienischen Dichtersprache, und die vielen poetischen Freiheiten, die [280] in derselben erlaubt sind, nebst dem musikalischen Ohre der Italiener, alles dieses vereinigt, verringert die anscheinenden Schwierigkeiten unendlich. Auch sind es mehrentheils ignorante Leute, die diese Kunst treiben, daher finden sie sich in Verlegenheit, wenn man ihnen ein Thema aufgiebt, zu dessen Behandlung Belesenheit gehört; sie führen es aberdoch aus, durch Unsinn mit Reimen verbrämt. Die alte römische Geschichte ist gewöhnlich ihr Steckenpferd, weil mit derselben die Improvisatoren ziemlich bekannt sind. Alle große Begebenheiten des alten Italiens, als Hannibals Zug nach Italien, die Ermordung Cäsars, u.s.w. werden improvisirt, sobald man ihnen die Wahl des Süjets überläßt; und wenn alsdann die Declamation gut ist, so wird der Ausländer, der dieses Schauspiel zum erstenmale sieht, in der That überrascht und hingerissen.

Ich habe von einem Venetianer eine Scene dieser Art gesehn, die den außerordentlichsten Eindruck zu machen fähig war. Man stelle sich einen Plaz in Rom vor, von Trümmern umgeben, die auf die sinnlichste Weise an das große Volk erinnern, das ehemals hier thronte; und nun denke man sich zum Thema: den Abschied des Regulus [281] von seiner Familie und von Rom; dieses nun mit Feuer und Beredsamkeit declamirt, und zwar an dem Ort selbst, wo diese große That vor 2000 Jahren geschah. Der Improvisator, der unter die besten seiner Zunft gehörte, wußte diesen Vortheil vortreflich zu nutzen. Er blickte auf die Ruinen traurig, aber doch standhaft, und nun nahm er den lezten Abschied von seinen Verwandten und Freunden, von dem Römischen Volk, von den Tempeln und Altären, den Göttern seines Vaterlandes, und endlich vom Capitol; wobey er seine Augen auf den Capitolinischen Hügel heftete. Diese ganze Scene, die wohl ausgeführt wurde, weil unser Mann den Metastasio auswendig wußte, war ein wahres Fest für Herz und Geist. Da dieser Venezianer ein Enthusiast der alten Römer zu sein schien, gab ich ihm einst das Thema: ob das alte oder neue Rom größere Vorzüge besessen hätte? Er entschied natürlich für das neue, und zwar weil es von Christen und dem Pabst bewohnt würde, dahingegen die alten Römer bei aller ihrer Pracht, Größe und edlen Thaten doch nur Heiden gewesen wären. Ich habe oft dieses Schauspiel in allen Theilen von Italien gesehn, allein durchaus gefunden, daß diese Improvisatoren eben so unwissend als von einge- [282] schränktem Verstande waren. Wie tief ist dieses Talent unter den Stegreifrednern, die man in England in den disputirenden Clubs antrifft! Hiezu gehören denkende Köpfe, durch Belesenheit gebildet, und mit Rednergaben versehen.

* Dennoch schmachtet die Deutsche in der größten Dürftigkeit, während der Zeit die Italienerin von allen Seiten Geschenke und Pensionen erhält, die noch kürzlich die große Katharina vermehrt hat. So viel kommt auf das Land an, wo man geboren wird!

Notes:

 

Collected by:
AE