- Performer Name:
- Performance Venue:
- Performance Date:
- Author:
- Date Written:
- 1810
- Language:
- German
- Publication Title:
- Morgenblatt für gebildete Stände
- Article Title:
- Volksgesang und Volksgeist
- Page Numbers:
- 233-35
- Additional Info:
- 9 March 1810 issue (No. 59)
- Publisher:
- J. G. Cotta’sche Buchhandlung
- Place of Publication:
- Stuttgart
- Date Published:
- 1810
Text:
[233] Wo man in ein gesangloses Land kommt, scheint die Freude erstorben. Das emsige Getriebe des Lebens zehrt das Leben auf. In seinen rauschenden Mühlen verstummt das Bedürfniß eines empfindenden Herzens.
In Preußen sitzt der steife Soldat in der Wirthsstube, schmaucht und gurgelt sein halb rohes, halb moralisches Lied aus heiserer Kehle. Der Gevattersmann stimmt mit ein, und ein trockener Disput endigt die Scene, wenn sie nicht mit Betrunkenheit aufhört.
Am Main, am Neckar, am herrlichen Rheinstrome, sitzen des Abends die Bäuerinnen vor der Thür, oder sie gehen schaarweise. Ihr Lieder sind fröhlich, gefühlvoll, oder voll treuherzigen Muthwillens. Wie man ins südlichere Deutschland kommt, verändern sie ihren Karakter. Sie werden lustiger, witziger, sinnlicher, aber selten haben sie den Hauch lieblicher Schönheit, welcher dort oft unübertrefflich zart über sie verbreitet ist.
Der Älpler in den Hochthälern singt sein einsames sinniges Lied, und die Felsen schallen davon wieder. In den fruchtbaren Niederungen der Schweiz pfeift der Ackermann lustig hinter dem Pfluge, und der Knabe erwartet mit gellender Stimme den Vater, daß er zum Essen komme, das er ihm hinaus in die Ernte gebracht hat.
Wie man von den Bergen herab in die lombardischen Ebenen kommt, wird das Leben offener und geselliger, der Gesang häufiger, die Kehlen reiner und voller. In den heißen Nächten, unter dem blinkenden Himmel, sind in den Dörfern und kleinen Städtchen Männer und Weiber um eine Mandoline versammelt; man hört dem anmuthigen Klimpern zu, manchmal begleitet sie eine Stimme, manchmal übernimmt auch ein Improvisator die Unterhaltung und läßt seltsame Abenteuer in einem gleich seltsamen Vortrage bewundern.
Das südliche Italien wird immer reicher an Lust und Gesängen. Die schwellende Fülle der Natur ruft laut auf, sie freudig zu genießen. In den Städten ziehen des Abends Banden durch die Straßen; der Guitarre, der Violine, den Duetten oder Terzetten folgt das neugierige Volk. Auf dem Lande oder bey den Ärmern rasselt und schnurrt ohne Ausnahme das Tamburin, und das eintönige Ritornell kreischt wechselnd dazwischen.
Manche sehen über die Bedeutung dieser verschiedenen Weisen schnell weg. Sie fühlen nicht, daß das Innere sich das Äußere gestalte. Sie ahnen nicht, daß der Einzelne wie das Volk etwas Unaussprechliches in sich trägt, dem er auf mannigfaltige Art Luft zu machen sucht, das er spät erzwungen gegen ein dumpfes Daseyn freylich hingibt, aber mit ihm auch das Erste, das Eigenste, was aus seinem Gemüthe quillt.
Der Volksgesang ist nicht ein Spiel, mit dem müßige Menschen tändeln; die Rede, der treueste Ausdruck des Gefühls, nicht eine wilkührliche Angewöhnung. Wie der Mensch ist, so wirkt er; wie er wirkt, so fühlt er; und wäre es einerley, ob er trübsinnig und stumpf ein gebeugtes Leben hinschleppe oder heiter aufblicke, sich in der [234] schönen Welt gefalle, sie mit Güte, mit Wohlwollen, mit Liebe genieße?
Die das Volk nicht kennen, die nie den Trieb gehabt haben, es in seinem Wesen, seiner versteckten, aber meist uralten Denkweise zu belauschen, reden davon, daß sie es bilden, indem sie ihm einige flächliche anscheinende Begriffe aufdrücken. Sie kennen, sie fühlen nur ihr engherziges Bedürfniß, und wähnen, das sey der volle Ausdruck der Menschheit.
Wenn man in mehrern Gegenden Deutschlands Gelegenheit gehabt hat, das Volk zu sehen, muß man erstaunen, welche große Verschiedenheit der Menschen sich unter ihm findet, mehr als unter irgend einem der bekanntern europäischen. Es wäre nicht schwer, diese Wahrheit mit historischen Gründen zu begleiten. Was den Menschen seine Fähigkeiten entwickeln, oder sie verlieren und äußern Dingen nachstreben, und also folgen macht, ist nicht schwer zu unterscheiden.
Sonderbar ist aber, daß das mit dem Willen, mit der Neigung der ausgezeichneten Geister, wenigstens der That nach, einen starken Kontrast macht. Wie viele können von diesen das Fremdartige einer edeln, aber ihnen entgegengesetzten Natur ertragen? Umgeben sie sich nicht lieber mit Knechten aller Art, als daß sie eines freyen Menschen Sinn und Blick neben sich sähen? Möchten sie nicht jedem gesunden Gottesbaume, freylich als wohlthätige und gleichfalls zur Seelenbildung abzweckende Operation, das Herz gern ausreißen, damit er nicht auf seine Art mächtig in die Lüfte schösse, sondern in ihren Gärtchen, an ihren Heckchen sich untergeordnet verzweigte, und fortan als wohlgezogenes Spaliergewächs ein methodisch-verkrüppeltes Leben führte!
Wie anders hat darüber vormals Lessing gedacht, der gern jedes Roß spornen, keines vor seinen Wagen spannen wollte! Wie anders denkt jetzt in Wissenschaft, Kunst und Leben Goethe! Jene wollen in der Wirkung gesehen seyn, er tritt gern in der Wirkung ungesehen zurück! Jene glauben etwas zu leisten, wenn sie von den Gesinnungen der Menge sich schneidend sondern, er nähert sich ihr im Unbedeutenden, und indem er fühlt, daß man sich zu dem herablassen müsse, was man zu sich hinaufbewegen will, und daß der Mensch gern das Gute ergreife, das man ihm mit Wohlwollen und Langmuth darbietet, stimmt er sie im Bedeutenden nach dem Bessern, nach dem Einfachen, Wahren.
Gewiß soll hier der Gedanke nicht ausgesprochen seyn, daß Erziehung, Bildung dem Menschen überhaupt entbehrlich wäre. Wen nicht vorschauende Liebe in der Jugend, dann eigene Vernunft erzieht, der gewinnt an dem Zufalle einen drückenden, beschwerlichen Meister. Aber wenn man gut erziehen will, muß man frey betrachten können. Man muß im Stande seyn, die besondern Fähigkeiten, welche die Natur jedem auf eine andere Weise anvertraut, zu unterscheiden und in ihrem Zusammenhange zu fassen. Man muß überzeugt seyn, daß das Höchste, dessen kein mit Vernunft begabtes Wesen ohne sich irre und unglücklich zu fühlen entrathen kann, auf tausend Weisen erfasst werde, und dann erst wahrhaft gefühlt, wenn es auf die rechte anpassende Art dargeboten und begriffen wird; denn der Schwung des Geistes macht den Fanatiker nicht; das macht ihn, daß er in seinem Schwunge alle mit Gewalt und gegen freyen Sinn mitreißen möchte.
In wie vieler Kinder Wesen schrauben sich nicht Ältern und Erzieher ein; wie viele Männer reißen nicht stärkere, obwohl an sich schwache, Geister auf immer aus ihrer Bahn; Nationen zeigt uns die Geschichte auf, welche in solchem Maße sich selbst verloren hatten, daß in Jahrhunderten kein Geist ihrer Eigenthümlichkeit einen Ausdruck verleihen konnte.
Diderot, unter der Reihe der Franzosen, die man Begeisterte von und für den Humor nennen könnte – der Gutmüthigste und Einsichtvollste, sagt, die Menschen seyen wie vergriffene Scheidemünzen, an denen das Geprägte unsichtbar geworden. Diese Bemerkung ist theilweise wahr, und übertrieben. Überhaupt war es ein sonderbarer Gang, den diese Männer nahmen, welche die Revolution vorbereiteten, indem sie den schon herrschenden Gesinnungen durch die Kraft ihres gewandten Verstandes Umfang und Bestätigung gaben. Sie sahen auf den Theil der Nation, welcher, von der Natur entfremdet, seine Vorurtheile mit seiner Sehnsucht verband. Wo dieses letztere eingetreten, ist fortan alle Hülfe vergebens. Dahin zu sehen, wo in stillem Kreise der Mensch sich traulich an den Menschen anschließt, wo die Tugend nie ausstirbt, und das Herz nie ein Fremdling wird, war ihr Auge nicht einfältig genug, und ihr Geschmack zu verwöhnt.
Im Schwalle der Hauptstädte soll man da den Menschen suchen? Da, wo sie, um es aufs mildeste zu sagen, aus Nacht Tag machen, und aus der Lüge Wahrheit? Diese, weit entfernt den Karakter des Volkes zu zeigen, zeigen, wodurch ein Volk untergehen kann.
Anderswo liegt seine unverwüstliche Kraft und Jugend. Als die Barbaren Italien überschwemmten, und ein welkes Geschlecht beynahe ausrotteten, hielten nicht die Städtebewohner den Umsturz der alten Gebräuche und Gewohnheiten der, wo sie noch vorhanden war, unstreitig bessern Sitte auf; sie vermischten sich mit den Überwindern, und lehrten diese ihre weichliche Feigheit meist so schnell, daß neueinbrechende ungeschwächte Horden auch sie bald wieder in den Boden traten. Jetzt noch sieht man dagegen unter dem Landvolke mit Freuden Züge der von den Vätern seit Jahrtausenden eingepflanzten Gewohnheiten.
Einige werden meinen, daß dieses als ein Lob des Landlebens anzusehen sey, und behaupten, daß dieses doch der Erweiterung des menschlichen Geistes, den Künsten und Wissenschaften Eintrag thue. Wenn man sich unter dem [235] Landleben den Zwang vorstellt, welchen verzogene Städtler erleiden, die nun plötzlich in läppischen, erkünstelten Empfindungen sich überaus natürlich zu geberden denken, so wäre freylich besser, dieser Unsinn hätte nie existirt. Übrigens bleibt es eine große Frage, welche Art zu leben dem Menschen am angemessensten sey, und ob zu wahrer Kunst und Wissenschaft zu gelangen, nicht zu dem, was etwa die Neugierde beyden ablernen kann, ein gesammeltes oder zerstreutes Leben am meisten passe. Freylich ist es außer Hauptstädten schwer, viele Maschinen zusammen zu schleppen, um damit die Natur zu ergründen, viele Bücher zusammen zu bringen, um das Gesagte noch einmal zu sagen, und die Leiber vieler Geister auf einen Punkt zu concentriren, damit durch ihre Reihung ein edler Wetteifer entstehe. Dafür wird, wer in der Ruhe seinen Geist ordnet, nie jener seichten Oberflächlichkeit erliegen, die vor lauter Sehen und Hören nicht betrachtet noch vernimmt, und der Wissenschaft über ihren aufeinander gethürmten Mitteln vergißt.
(Der Beschluss folgt.)
Notes:
The conclusion of the article, in issue No. 60, is not relevant to improvisation.
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- EW