Karl Ludwig Fernow, “Improvisatori” (Part 1)

In one of the most referenced articles on improvisation published in his time, Fernow describes in detail the skills and state of inspiration necessary for improvisation and the social circumstances in which improvised performances are to be witnessed in Italy. The first section of the article concludes with a reproduction of an Italian improvised poem, “Il Cinto di Venere.”

Performer Name:
Perfetti; Abate Lorenzi; Gianni; Abate Berardi
Performance Venue:
 
Performance Date:
 
Author:
Fernow, Karl Ludwig
Date Written:
1801
Language:
German
Publication Title:
Der neue Teutsche Merkur
Article Title:
Improvisatori (Part 1)
Page Numbers:
2:282-306
Additional Info:
August 1801 issue
Publisher:
 
Place of Publication:
Weimar
Date Published:
1801

Text:

[282] Improvisatori*

 
Est Deus in nobis: agitante calescimus illo.
—Ovid

 
Erste Abtheilung.

Das Talent, die Sprache der Musen aus dem Stegreif zu reden, ist jenseits der Alpen eine so fremde [283] Erscheinung, daß man dort kaum von dieser Dichtart, geschweige von der eigenen Art geistigen Genusses, den die Ausübung dieses Talents im gesellschaftlichen Leben gewährt, einen Begriff hat. Das Vergnügen, welches ein glückliches Impromptü, — das Höchste, was in dieser Art zu dichten dem poetisirenden Witze oltramontanischer Schöngeister gelingt, — im gesellschaftlichen Kreise erregt, ist eben so wenig mit dem Vergnügen zu vergleichen, welches ein wohlausgeführtes Improviso bewirkt, als eines der gewöhnlichen Alamachs: Epigramme von X. Y. Z. mit mit einer Bürgerchen Ballade oder Göthe’schen Elegie. Ja, es scheint, daß die Dichtkunst ihre Gewalt auf das Gemüth nie mächtiger beweise, als in Produkzionen dieser Art, wo der Dichter im Augenblicke der schaffenden Begeisterung seinen Gesang unmittelbar in die Seele des Zuhörers hinüberströmt. Diese Wirkung, die der Gesang des begeisterten Improvisatore nie verfehlt, kann ein mit dem Stempel der Vollendung bezeichnetes und mit aller Kunst der Deklamazion vergetragenes Gedicht nie in gleichem Maaße hervorbringen. Die auf den höchsten Grad gespannte Energie, womit die Einbildungskraft des Dichters in die- [284] sen Momenten wirkt; das fortwährende Kampfspiel widerstrebender und glücklich besiegter Schwierigkeiten, das man hier gleichsam vor Augen sieht; die überraschenden Züge, womit der Sänger sich glücklich aus dem Labyrinth wieder herauswindet, in das er sich verwickelt hatte; der lebhafte Enthusiasmus, der während dieses Kampfspiels sich von dem Dichter durch den Kreis der Zuhörer verbreitet und, so vervielfältiget wieder auf den Genius des Sängers zurückwirkend, die Flamme der Begeisterung immer mächtiger in ihm anfacht, — müssen nothwendig Wirkungen hervorbringen, welche auch die höchste Kunstvollendung, die sich nur in der ruhigen Kontemplazion des Werkes genießen läßt, und die meisterhafte Deklamazion nicht erreichen können; und wenn je der Einfluß einer über das gewöhnliche Maaß erhöheten Spannung der Seelenkräfte, — wenn je die Übermacht des begeisterten Genie’s über den nüchternen Verstand sich in der Hervorbringung eines schönen Kunstwerkes sichtbar äußert: so ist dies gewiß im extemporanen Dichten der Fall, wo die Intension der wirkenden Kraft mit der Länge der Zeit, in welcher sie ihre Wirkung vollbringen muß, im umgekehrten Verhältnisse steht; wo sich — Doch lassen wir lieber einen Italiener die Symptome mahlen, welche sich in Szenen dieser Art zu äußern pflegen. Ein vorzüglicher dieser Nazion, der Abate Bettinelli, giebt in seiner Schrift dell’ entusiasmo [285] delle belle arti, eine eben so lebhafte als treffende Schilderung davon, die wir hier in einer freien Übersetzung mittheilen.

"Ich habe oft — sagt dieser Schriftsteller — Gelegenheit gehabt, einen der vortrefflichsten Improvisatori zu hören, und ich habe ihn in solchen Szenen mit der größten Aufmerksamkeit beobachtet. Zuerst stand der Sänger eine Weile schweigend und gleichsam unentschlossen; dann begann er langsam und unsicher seinen Gesang, stieß bald mit dem Reim, bald mit dem Gedanken an; ein Beweis, daß der Enthusiasmus noch nicht gekommen war; daß der Dichter sich noch auf gleichem Boden mit seinen Hörern befand. Aber plötzlich, ehe er selbst es ahndet oder du es vermuthest, siehst du ihn neu beseelt und entflammt sich erheben; die Begeisterung breitet ihren Fittig aus; er schwingt sich im Fluge empor. Die Merkmale dieses Aufschwunges sind in seinem Äußern sichtbar. Mit erheitertem Antlitz und abgewandt von allem Gegenwärtigen, blickt er zum Himmel auf, in unbeweglicher Stellung, wie seiner selbst vergessend; er ist nicht mehr, wo er kurz vorher war; er sieht nicht mehr, was er zuvor sah. Der Vorhang ist gefallen; ein neuer Schauplatz, eine neue Perspektive, eine andere Welt stellt sich in glänzendem Lichte seinen Blicken dar. Er redet in Gesprächen, in Anrufungen, beschreibt alle Gegenstände so anschaulich, alle Dinge so [286] umständlich und mit einem Interesse, das nur die wirkliche Gegenwart nehmen läßt. Diese wunderbaren Gesichte, diese reizenden Erscheinungen entzünden seinen Affekt; sein Interesse wird immer stärker; er schwelgt im Genusse ihres Anschauens. Die wachsende Flamme spricht durch jede Ader; seine Augen funkeln; ein höheres Roth färbt seine Wangen; ein begeistertes Lächeln schwebt um seinen Mund; er schauert vor Wonne; seine ganze Gestalt ist in Bewegung."

"So von ächter Glut entbrannt und entzückt erhebt seine Stimme sich stärker; seine Gesten werden lebhafter, seine Bewegungen heftiger. Eine Fluth von Ideen, von Bildern und Reimen strömt auf ihn ein, überströmt, überwältigt ihn, daß die Worte nicht mehr hinreichen, sie zu fassen, er fühlt sich verwickelt, beklemmt. Die Verse drängen und treiben einander, stürmen und stürzen Woge auf Woge ungestüm, unaufhaltsam hervor, so daß der Saitenspieler, welcher den Gesang begleitet, kaum ihn zu folgen vermag, oft zu hastigen, regellosen Griffen gezwungen, und aus dem Zeitmaaß fortgerissen wird. Aber unvermuthet erstarrt auch zuweilen mitten im Laufe der Strom des Gesanges; entweder weil der Vorhang des inneren Schauspiels fällt, oder weil die Fibern unter der zu gewaltsamen Spannung erschlaffen. Zu anderen Zeiten beharrt der stundenlang ohne Schwierigkeit in dieser Stimmung."

[287] "In solchem Zustande sagt der Dichter, oft ohne es selbst zu wissen, die schönsten und ungemeinsten Dinge; die Reime ordnen sich von selbst an ihren Ort; die gewähltesten, edelsten, lebhaftesten Ausdrücke schmiegen sich freiwillig dem Gedanken an; die Harmonie fügt sich aufs glücklichste in das Sylbenmaaß. Des Sängers Seele selbst scheint in vollkommenster Einhelligkeit ihrer Kräfte den Schauplatz zu betreten, sich in ihrer souverainen Unabhängigkeit zu zeigen, ihre eigene übermenschliche Sprache zu reden und über alle andere zu herrschen."

"Indessen verbreitet sich durch den Kreis der Zuhörer eine Lust, ein Schauer der Wonne, der von Zeit zu Zeit unwillkührlich in lauten Jubel ausbricht. Der Zuhörer fühlt sich mit emporgehoben und folgt dem Schwunge des Sängers. Wie ein hin und her geschlagener Ball fliegt die Begeisterung von dem Dichter zu dem Hörer, und von diesem zu dem Dichter zurück, und erhöht, in dem wechselnden Fluge immer wachsend, in beiden Theilen den Genuß, das Entzücken, die Trunkenheit."

"Auch das Ende einer solchen Szene giebt Stoff zu merkwürdigen Betrachtungen über den Sänger und über den Zuhörer. Auffallend ist in jenem die Ermattung nach der gewaltsamen Anstrengung, die das natürliche Vermögen der Organe zu übersteigen scheint; [288] in diesem das Schweigen und die feierliche Stille: gleichsam als ob die Seele des Zuhörers, in Staunen verloren oder außer sich gesetzt, noch in ihrem Innern dam Nachhall des Gesanges lauschte; als ob sie einer Pause bedürfte, um wieder zu sich selbst zu kommen, um zur Erde zurückzukehren, von welcher sie dem Dichter in eine unbekannte, höhere Sfäre gefolgt war. Daher bemerkt man auch, daß die minder Gefühligen und Verständigen unter ihnen immer zuerst das Schweigen brechen und den Sänger mit den gewöhnlichen Komplimenten überhäufen; die hingegen, welche tiefer fühlen, sieht man am spätesten sich regen und aus dem Zustande des Entzückens erwachen."

"Alle diese Symptome äußern sich freilich nicht allemal bei solchen Szenen, sondern nur dann, wenn der Dichter sich in der glücklichen Disposizion befindet, lebhaft begeistert zu werden und den Kreis seiner Zuhörer in eine ähnliche Stimmung zu versetzten. Ein auserlesener Zirkel von Hörern kann vieles dazu beitragen; um so mehr, wenn er aus Freunden des Dichters, oder aus von ihm geschätzten Personen besteht. Der Beifall, welchen sie den schönsten Stellen seines Gesanges ertheilen, erhöhet das Vertrauen und den Affekt des Dichters, ist ein Sporn, der ihn treibt und neues Lob zu ärndten einladet. Die Schönheiten verdoppeln sich Schlag auf Schlag und mit ihnen die Aufmunterungen, seine ganze Kraft in Wirksam- [289] keit zu setzen; und dieser wechselseitige Wetteifer ist für den Dichter das treffliche Saitenspiel, seinen Gesang zu begleiten und seinen Enthusiasmus zu entflammen." —

Nach dieser im Wesentlichen sehr treuen Schilderung der Symptome, welche die extemporane Dichtart bewirkt, wird es vielleicht dem teutschen Leser angenehm seyn, zur Vollendung des obigen Gemäldes auch das Detail einer solchen Szene genauer kennen zu lernen. Wenn die Gesellschaft versammelt ist, fordert der Improvisatore ein Thema für den ersten Gesang. Gewöhnlich überlässt man einer Dame, oder einem Gelehrten, oder sonst einer Person, die man durch diesen Vorzug ehren will, die Wahl desselben. Die Gesellschaft wird dann noch einige Zeit von dem Musiker, der den Gesang zu akkompagniren da ist, mit einer Sinfonie unterhalten; während derselben macht der Improvisatore in wenig Minuten seine Disposizion, ohne darum sich aus der Konversazion zu entfernen. Durch vielfältige Übung seiner Kunst gewiß, läßt er kaum merken, daß sein Geist mit etwas Anderem beschäftigt ist. Die Gesellschaft vermehrt sich indessen und ordnet sich auf den Sitzen. Jetzt endiget die Sinfonie; schon ist der Sänger an seinen Ort getreten, der Versammlung gegenüber. Ein Glas Wasser oder Limonade auf einem Tischchen neben ihm ist die Hippokrene, woraus er seinen Gaumen netzt. [290] Der Musiker präludirt die Melodie des Gesanges; der Dichter kündigt der Gesellschaft noch einmal das aufgegebene Thema an und beginnt wenige Augenblicke später seinen Gesang, dem gewöhnlich ein kurzer, dem Gegenstande angemessener Anruf an irgend eine Gottheit oder Muse zum Eingange dient; oft auch ergreift er seinen Gegenstand unmittelbar, ohne alle Einleitung, als gegenwärtig. Alles lauscht nun in erwartungsvoller Stille; aller Blicke sind auf den Sänger geheftet; kaum hört man athmen. Aber der erste glückliche Zug setzt die Geister in Schwung; der Enthusiasmus des Dichters theilt sich dem Hörer mit, und allmählich erfolgen, stärker oder schwächer, die oben beschriebenen Äußerungen. Niemand bleibt jetzt länger ohne die lebhafteste Theilnehmung. Sobald in einer Stanze der Gedanke eingeleitet und durch einen Reim der Gegenreim vorbereitet ist, so arbeitet des Zuhörers Fantasie mit dem Dichter fort, und so oft dieser mit dem Gedanken des ersteren zusammentrift, oder durch eine Wendung seine getäuschte Erwartung überrascht, so bricht der Affekt der Freude und Bewunderung in lauten Beifall aus, der immer häufiger und rauschender wird, je mehr Sänger und Zuhörer sich gegenseitig in Schwung setzen, bis er endlich am glücklich erreichten Ziele in allgemeinen Jubel ausströmt. Ein Akt des Schauspieles ist nun geendigt; der Sänger erholt sich, trocknet den Schweiß von der glühenden Stirne und zerstreut sich auf wenige Minuten in der [291] Unterhaltung mit der froh sich um ihn drängenden Schaar. Nach einer kurzen Pause stimmt der Musiker zu einer neuen Sinfonie; der Improvisatore fodert ein neues Thema: die Gesellschaft ordnet sich wieder und die obige Szene erneuert sich, und erneuert sich zuweilen zum dritten, vierten und fünften Male. Um aber seinem Talente vor dem Schluß des Schauspieles noch einen glänzendern Kranz zu flechten, überrascht zuweilen der Improvisatore die Versammlung mit einer kurzen, in wenige Stanzen, oder in ein Sonett zusammengedrängten Wiederholung des Inhalts der sämmtlichen Gesänge, den er kunstreich in ein Ganzes zu verbinden weiß.

Die Improvisatori singen jetzt in allen Versarten, soviel denen die italienische Dichtkunst hat. Ehedem bedienten sie sich bloß der Ottave rime, bis in der ersten Hälfte des letztverwichenen Jahrhunderts vom Cavaliere Perfetti von Siena, dem berühmtesten Improvisatore seiner Zeit, die sogenannten Anakreontischen Sylbenmaaße in die extemporane Dichtart eingeführt wurden: und da es weit leichter ist, in diesem zu singen, so haben sie beinahe die ottave rime verdrängt; aber die Meister halten es auch jetzt noch der Würde ihrer Kunst gemäßer, in dieser letzteren Versart zu singen, in welcher nur ein vielgeübtes und reiches Talent sich mit der Leichtigkeit regen kann, die das Improviso erfodert, und bedienen sich der ana- [292] kreontischen Sylbenmaaße blos zu scherzenden, tändelnden Gegenständen. Sonette all’improviso gelten nur für Impromtüs, und selten bedient sich der Improvisatore dieser Versart, um ein gegebenes Thema zu behandeln, weil sie einen zu kleinen Umfang hat, als daß sie mehr als einen Gedanken fassen könnte.

Für jede Art von Metrum hat der Sänger eine eigne Melodie, in welcher er seine Verse halb singt, halb rezitirt, die immer einfach und gefällig ist und sich um so leichter jedem Stoffe anschmiegt, da die Musik hier, wie in den ältesten Zeiten, ganz der Poesie untergeordnet ist, und blos zur Verzierung des Gesanges und zur Ausfüllung der Pausen dient, welche zwischen den Stanzen oder einzelnen Versen entstehen. Die meisten vorhandenen Melodien dieser Art sind von berühmten Improvisatoren erfunden.

So schwer nun auch diese Kunst an sich schon ist, so hat doch die Vorsicht zu verhüten, daß kein Betrug unterlaufe, dieser Kunst noch mancherlei Fesseln zugesellt, welche nichts zu ihrer Vervollkommung und Schönheit beitragen, aber sie noch schwieriger und bewundernswürdiger machen; und das nach Beifall und Ehre ringende Talent läßt sich, seines Sieges gewiß, diese Fesseln willig anlegen, oder legt sie wohl im Übermuthe freiwillig an, weil sein Triumf dadurch nur um so glänzender wird. Fesseln dieser Art sind: vorgeschriebene Sylbenmaaße; vorgeschriebene Reime; eine be- [293] stimmte Anzahl von Stanzen, worin das aufgegebene Thema ausgedehnt oder zusammengepreßt werden muß; Ritornelle, die nach jeder Stanze wiederkehren und mit derselben durch Gedanken und Reim verbunden werden müssen u.a.m. Wenn, wie oft der Fall ist, zwei Improvisatori in ottave rime wechselnd singen, so ist es Gesetz, daß jeder den Reim, womit der andre Sänger seine Stanze schließt, wieder aufnehme, und ihn zum Reim des ersten Verses der seinigen mache, ohne sich jedoch desselben Wortes zu bedienen. Alle diese Schwierigkeiten, womit man die Kunst des Improvisirens bewaffnet hat, lassen sich freilich nur in einer Sprache, wie die italienische, überwinden.

Diese Kunst, so alt als die Dichtkunst selbst, und unter rohen Völkern die erste natürliche Äußerung des erwachenden Dichtungsvermögens, hat sich nach dem Wiederaufleben der Künste und Wissenschaften blos in Italien lebendig erhalten, und macht seitdem einen eigenen Zweig der Poesie dieses Landes aus, dem sich viele ausschließend widmen, und dessen Ausübung ein eigenes Talent und eine eigene Art von Studium erfordert. Wer mit dem Talent zur Dichtkunst nicht zugleich auch jene außerordentliche Schnellkraft der Fantasie, jene hohe Reizbarkeit und Wärme des Gefühls besitzt, durch die das Gemüth sich leicht in den exaltirten Zustand versetzten läßt, welchen wir aus der obigen Beschreibung kennen, der wird vielleicht am Pult vor- [294] treffliche und sehr vollendete Dichterwerke hervorbringen; aber die Kunst des Improvisirens wird ihm nicht gelingen. Und in der That giebt es vorzügliche Dichter und hat deren in Italien viele gegeben, ohne jene Anlagen, die das eigenthümliche Talent des Improvisatore ausmachen; wo hingegen andere mit diesem Talent nur mittelmäßige Dichter geblieben sind, weil sie die Kultur des Geistes verabsäumt haben.

Auch hier drängen sich, wie zu allen schönen Künsten, viele Unberufene in die Schranken. Da aber in der Ausübung dieser Kunst Alles von dem augenblicklichen Gelingen abhängt, da das Werk auf der Stelle gedichtet, vollendet und nach Verdienst gewürdigt wird, und der gebildete Italiener, welcher den Maaßstab des Vortrefflichen in dieser Kunst sehr wohl kennt, nicht leicht etwas Schlechtes mit seinem Beifalle belohnt: so dauert auch gewöhnlich der Dichterwahn des Unberufenen nicht lange, und er entsagt bald einer Kunst, welche in jedem neuen Versuche seine Unfähigkeit nur deutlicher an den Tag legt, und wo kein Vorwand die persönliche Beschämung, der er sich aussetzt, von ihm abwenden kann. Der Verfasser selbst hat einigemal Gelegenheit gehabt, die Erfahrung zu machen, wie erbärmlich, bemitleidenswert und quälend es ist, einen Stümper in dieser Kunst sich vergebens abarbeiten zu sehen. Das peinliche Gefühl seiner fruchtlosen Anstrengungen theilte sich der Versammlung sympathe- [295] tisch mit, und die innere Angst des unglücklichen Poeten trieb den Schweiß auf die Stirnen der Zuhörer hervor. Da aber die italienische Sprache ein so geschmeidiges Materiale ist und sich mit großer Leichtigkeit in die poetische Form schmiegt, so ist die Zahl der Dilettanti in dieser Kunst, welche mit einer nicht gemeinen Fähigkeit und gewöhnlich mit viel poetischer Kultur ausgerüstet, ihr Talent blos dem gesellschaftlichen Vergnügen widmen, nicht gering; und in den großen Städten Italiens wird man nicht leicht einen gebildeten Zirkel finden, in welchem nicht das andere Mitglied fähig wäre, die Gesellschaft durch einen Genuß dieser Art zu erfreuen; und man findet da zuweilen Dilettanti, die es den Virtuosen in dieser Kunst gleich thun. Oft, wenn mehrere, die ein solches Talent besitzen, in einem Zirkel zusammen treffen oder sich eigens zu solchen Übungen einfinden, entstehen Wettstreiten im Extemporiren und Wechselgesänge, und die Gesellschaft krönt dankbar beide, den Sieger und den Besiegten, mit ihrem Beifall. Nicht leicht findet sich ein guter Kopf mit einiger Anlage zur Poesie der nicht in seinen Jünglingsjahren seine Kräfte im Improvisiren versucht hätte.

So plfanzt sich eine immerwährende zahlreiche Schule dieser Kunst nicht blos in den gebildeten Klassen fort, sondern auch in den unteren Ständen wird das Talent zu improvisiren, welches dem Italiener [296] natürlich zu seyn scheint, nach dem Maaße der Bildung dieser Stände mit mehr oder weniger Geschmack und Geist getrieben, und der müßige Pöbel hat eben sowohl seine Improvisatori von Profession, als der gebildete Musenfreund der höheren Klassen. Jene üben ihre Kunst auf Plätzen und Märkten. In wenigen Augenblicken ist ein dichter Kreis um den wandernden Homer geschlossen, der sich in einer Stunde leicht so viel ersingt, als er bedarf, um sich und seine Muse einige Tage lang vor Hunger und Durst zu schützen; und ein solcher Virtuoso ist um so unbesorgter um seine Zukunft, da er sicher ist, auf dem nächsten Platze, sobald er will, ein neues Publikum zu finden. Einer der vorzüglichsten Improvisatori aus dieser Klasse war der, den Moritz in seinen Reisen in Italien geschildert hat.

Eben so haben auch die niederen Stände bis zum Handwerker und Bauern herab, ihre Dilettanti in dieser Kunst. Oft hört man in Schenken, wenn der Wein die Köpfe begeistert, zwei Wettsänger sich erheben, die einander zum Schweigen bringen suchen. Der Inhalt ihrer Gesänge ist gewöhnlich satyrisch, und solche Szenen sind ein lebendiges Bild der ältesten Satyrspiele und der Wechselgesänge Sizilianischer Hirten; so wie die Volks-Improvisatori auf Gassen und Plätzen den Fremden in die Zeiten des Orfeus und Homer zurück versetzen. Gewöhnlich haben dergleichen Gesänge [297] wenig poetisches Verdienst; aber sie sind oft reich an naiven Einfällen und treffendem Spott, und das natürliche Talent des Italieners, sein heller, geistreicher Verstand, zeigt sich hier im vortheilhaftesten Lichte; und da auch der gemeine Italiener dadurch, daß er die größten Dichter seiner Nazion ließt und ihre schönsten Stellen auswendig weiß, der poetischen Kultur nicht ganz fremde ist, so tragen auch seine kunstlosen Gesänge aus dem Stegreif gewöhnlich Spuren derselben.

Wenn man die Improvisatori, die ihre Kunst auf den öffentlichen Plätzen vor dem Volke treiben, mit dem Charlatan, der an demselben Orte das gleiche Publikum unterhält, ungefähr in dieselbe Klasse setzt; so werden die Improvisatori aus der höheren Sfäre, welche ihre Kunst auf eine edlere Art vor einem gebildeten Publikum ausüben, als ächte Künstler geachtet, und man muss Virtuosen dieser Art, oder vorzügliche Dilettanti aus der gebildeten Klasse gehört haben, um sich einen würdigen Begriff von dieser Kunst zu machen, deren Kultur mit der Kultur des Standes von welchem, und des Zeitalters, in welchem sie ausgeübt wird, gleichen Schritt hält, und ein solcher Improvisatore ist von dem Dichter, der seine Werke am Pulte leicht mit mehr Überlegung, Auswahl, Studium und Feile, aber schwerlich mit eben so viel Begeisterung verfertigt, in nichts als in der Art zu dichten verschieden.

[298] Man pflegt der extemporanen Dichtart vorzuwerfen, daß sie nichts hervorbringen könne, was sich über das Mittelmäßige erhebt; daß sie zwar für den Augenblick täusche, blende und hinreiße, daß aber ihre Produkte im Lesen nicht die Probe aushalten; und die meisten gedruckten Improvisi bestätigen die Wahrheit dieser Beschuldigung. Zum Theile liegt dies freilich in der Natur des Extemporirens; denn auch in den vorzüglicheren Dichtungen dieser Art wird man Inkorrekzionen, Reminiszenzen, Wiederholungen, matte Stellen, mit einem Worte unvermeidliche Spuren der Eile wahrnehmen, mit der sie hervorgebracht sind; aber man wird auch in ihnen vielleicht eben so viele unverkennbare Spuren ächter Begeisterung finden, die nicht selten in den kunstreichsten und gefeiltesten Poesieen vermißt wird. Wenn man nun erwägt, wie schwer es, nach dem eignen Geständnisse großer Dichter, ist, mit aller Muße, Überlegung und Feile ein vortreffliches Gedicht zu liefern; wenn man die kleine Quantität des vorhandenen Guten gegen die ungeheure Menge des Mittelmäßigen und Schlechten hält, was auch die geschriebene Poesie liefert; wenn man endlich bedenkt, daß Werke dieser Art keineswegs für ein lesendes Publikum, sondern durchaus für den augenblicklichen Genuß bestimmt sind, so daß es eine bloße Vergünstigung des Dichters ist, wenn er seinen Gesang nachzuschreiben erlaubt (oft freilich auch eine Wirkung seiner Eitelkeit), und daß jedes Ding in sei- [299] ner Art vollkommen ist, wenn es das ist, was es seiner Natur nach seyn kann, und seiner Bestimmung nach seyn soll: — so müßte man sehr verstockter Anhänger des nil admirari seyn, wenn man diese Kunst darum weniger der Bewunderung werth halten wollte, als die übrigen Künste des Genies. Man würde unbillig seyn, wenn man die extemporane Poesie mit einem Maaßstabe messen wollte, der nicht der ihrige ist, ohne zugleich den Vorzug, den sie vor der geschriebenen Poesie hat, die Intension ihrer Wirkung auf das Gemüth des Zuhörers, in Rechnung zu bringen.

Genauer erwogen aber gründet sich die Unfähigkeit, etwas Vortreffliches, das auch im Lesen gefallen kann, hervorzubringen, keineswegs in einer Schranke dieser Kunst selbst, sondern vielmehr nur in der größeren Schwierigkeit, es in ihr zu einer so hohen Vollkommenheit zu bringen, und in den beschränkten Geistesfähigkeiten oder dem Mangel an Kultur bei denen, die diese Kunst gewöhnlich ausüben. Es fehlt gegenwärtig in Italien nicht an Beispielen, daß Improvisatori, welche mit einem eminenten Talente einen hohen Grad von Geistes- und Geschmackskultur verbinden und durch viele Übung eine seltene Fertigkeit erworben haben, fähig sind, extemporane Gedichte hervorzubringen, die auch im Lesen Probe halten und in jeder Rücksicht vorzüglich sind. Ein solcher war [300] unter andern der Abate Lorenzi in Verona, von dessen Kunst Bettinelli die Züge zu dem obigen Gemälde entlehnt hat; ein solcher ist Franceso Gianni von Rom, der gegenwärtig als der beste Improvisatore berühmt ist, und diese Kunst in einem Grade von Vollkommenheit ausübt, den sie selten, vielleicht nie vorher erreicht hat, wie eine gedruckten Improvisi, mit andern verglichen, beweisen; ein solcher ist der Abate Berardi in Rom, einer der ersten Dilettanti in dieser Kunst, den der Verfasser dieses Aufsatzes zu verschiedenen Malen gehört hat, und von welchem er das nachstehende Improviso mittheilt, dessen Ächtheit er um so gewisser bezeugen kann, da er selbst, während es gedichtet wurde, es nachzuschreiben Gelegenheit hatte.

Il Cinto di Venere

     Santa madre d'Amor, figlia di Giove,
Consolatrice degli umani allanni,
In queste a gloria tua novelle prove,
Deh!  Tu mi presta del tuo figlio i vanni;
Fa, ch'oggi 'I tuo favor m'assista e giove,
Come giovommi ne'piú floridi anni,
Quando alla tua divinitá si cara
Sette vacche in un di svenai sull' ara.
     Sacro alla gloria tua sia questo giorno
Di'vaga luce e di splendor dipinto;
Che io ti vedró, del braccio eburneo intorno,
Quel divin sfavillar leggiadro cinto,
[301] Per eni prendesti ogui beltade a scorno,
Per cui resto ogni core opresso e vinto,
Per cui vedesti in questa e in quella parte,
Ferito Adone, e insieme Anchise e Marte.
     Io so che per voler d'averso Fato,
E di Fortuna per ignobil giuoco,
Ti fu dal sielo per consorte dato
Il ruvido Volcano, il Dio del fuoco;
Ma veggo poi, che non fu Giove ingrato;
Che, se un' amante core é opresso e fioco,
Effetto é sol, che del piacere al lume
Giugne l´ingegno a incenerir le priume.
     Or questo ignobil Dio, che ottenne in sorte
Colei che fa, che il cielo e il suolo avvampi;
Che condusse nel mondo miglior sorte;
Che spaise di bei fiori i colli e i campi;
Volle col braccio suo robusto e forte
Del Trinacrio cammino in mezzo a'lampi
Formare un felicissimo lavoro,
Che vinse a un tempo indiche gemme ed oro.
     Ne Piracmon col braccio alpestre e rude,
Né a tale opra chiamó Sterope e Bronte;
Ma, a travagliar sulla Sicania incude
Vennero al dolce invito, allegre e pronte.
Tre vezzosette verginelle ignude,
Di mirti e rose coronate in fronte:
Che sceser dalla bella eterea via,
Dico Aglaya, Eufrosine e ancor Talia.
     Dovean le grazie intorno a si bell'opra
Le maui affaticar leggiadre e pronte;
[302] Vulcan vi assiste e senno ed arte adopra,
E mesce al fuoco di Aganippe il fonte.
E avvien che tutto di sudor si copra
Dal piede infermo, alla callosa fronte,
Per tessare un lavor tutto nouvello
Che in terra e in ciel non vi sará il piú bello.
     Prendon d'un amator caldi sospiri;
Prendon d'un altro amante il dolce pianto;
Prendon d'un guerrier, che ama, i deliri.
Che piange e freme, colla morte accanto:
Vi mescolan dolcissimi raggiri,
Che guadagnar ben cento cori han vanto;
Né ciascuna di lor sembra restia,
A mescolarvi ancor qualche bugia.
     Né tu l'ultimo loco avesti o sdegno,
Che sembri inescorabile e severo,
E giovi poi per sostener l'impegno,
E mantener di un forte amor l'impero.
Sembra talor, che miri ad altro segno;
Ma questo moto é in te beu menzognero;
Che di sdegnarsi all'amator non spiace,
Perche piú dolce poi divien la pace
     Tu sola, Eteritá, non vieni a parte
Di questo soavissimo lavoro;
Che tanto bene all'uom nou si comparte,
Di rinnovar la bella etá dell'oro.
La lagrime, talora al vento aparte,
Non conducono al cor dolce ristoro,
Né il bel cinto divino é di tai tempre,
Che vaglia un core a incatenar per sempre.
[303]   Di questo incomparabile bel cinto
Questa sposa novella ornossi il braccio,
Comparve il volto di un color dipinto
Che mescolava insieme il fuoco ed il ghiaccio;
Spingeva e raffrenava il caldo istinto,
Ora stringendo, ora allentando il laccio;
E tessendo a ogni cor varia conguira,
Cangia il sembiante ognor grazia e figura.
     Con questo, o bella Dea, scorrendo in terra,
Facesti al suolo germogliar le rose:
Tra colombe destasti amica Guerra;
Che un soave piacer poi ricompose;
Per lui parti novella il suol disserra;
Per lui le forme appajono pompose;
E quelle dolci grazie inclite e rare,
Ond' é bella la terra, e il cielo, e il mare.
     Sentirono in quel dí piú caldi sproni
In seno dell' istabile elemento,
E le belle Nereidi ed i Tritoni;
E innamorato ancor fremeva il vente;
Moltiplicarsi di natura i doni;
Ogni mortale si dimostro contento.
Tacque in quell dí la sanguinosa Guerra,
E in dolce calma riposó la terra.
     Questo cinto immortal, stimolo e sprone
Delle piú dolci e piú soavi prove,
Spesso prestollo Venere a Guionone,
Il freddo cor a riscaldar di Giove;
Spesso ottenna per lui bel guiderdone
Colui, che affanni e grazie in terra piove;
[304] Per lui ne riporto premio e ristoro
Ora in pioggia cangiato, et ora in toro
     Ma quanto ancor fatal fu questo dono
Alla moglio crudel del sacerdote,
Che, aperta la vorage, opresso e prono
Precipitó colle fuggenti rote.
E lasciando i cavalli in abandono,
Che il braccio uman piú ritener non puote,
D'Apollo ad onta, e delle Parche a scherno
Venne immaturo ad abitar l'averno.
     Elena possederlo ebbe la sorte,
Quando fu tolta a suo minore Atrida;
Mosse per questo Achille il braccio forte
Ed Ilio empí di lagrime e di strida.
Cadde Priamo per lui di cruda morte;
Virtude al popol suo non fu piú guida:
Il sangue scorse, e scorse a rivi il pianto,
E gonfj andaro il Simoente e il Xanto.
     Di possederlo ancora avesti il vanto,
O regina bellissma di Egitto!
Che la grandezza tua cangiata in pianto,
Col seno da fredd' aspide trafitto.
Per lui moristi al dolce Antonio accanto,
Che vide il regno tuo mesto e sconfitto;
Onde avviene che anch' egli estinto cada
Sopra l' inesorabile sua spada.
     Ultima  l'ebbe poi la bella Armida
Che me fece tant' uso in sen piú caldo:
Io dico in lui, che nel valor confida,
Nel generoso e nobile Rinaldo,
[305] Che, forte al pari del piú forte Atrida,
Ascolto poi la voce e il dir d'Ubaldo,
Che trasse il duce, e vincitore e vinto,
Fuori dell' incantato labirinto.
     Dove poi s'ascondesse il bel lavoro,
Alla musa gentil non è palesa;
Forse tornó de' sommi Dei fra il coro
Forse in astro novello in ciel s' accese –
Sia come vuolo; io prendo alcun ristoro,
Per ritentare altre piú belle imprese.
Chindete i rivi, o fanciulletti alati.
C' han giá bevuto d' Amatunta i prati.

Dieses achtzehn Stanzen lange Improviso war das Werk etwa eben so vieler Minuten, und der Nachschreiber hätte dem fast ununterbrochen dahin rauschenden Strome des Gesanges nicht immer ohne Gehülfen folgen können. In einer frühern Versammlung ward demselben Sänger unter anderen auch der Kampf des Eteocles und Polynices zum Thema gegeben, und er behandelte diesen heroischen Gegenstand mit einer Vortrefflichkeit und mit einem Schwunge feuriger Begeisterung, der die Gesellschaft in ein frohes Staunen versetzte, und ein allgemeines Bedauern erregte, daß man keine Anstalt getroffen hatte, ein so gelungenes Produkt der Vergessenheit zu entreißen; und doch war dieses, nach einem Zeitraume von sechs Jahren, während welcher der Dichter, theils unter der ehemaligen päpstlichen Regierung, theils unter [306] der Republik öffentliche Ämter bekleidet hatte, das erstemal, wo er wieder als Improvisatore auftrat.

(Eine Fortsetzung folgt)

 

* Ich behalte mir vor, am Ende dieser Abhandlung die mit tiefem Eindringen auch die Anmuth der Einkleidung verbindet, und uns über das ganze (auch für die ionischen Aödenschulen so wichtige) Improvisatorwesen so vollkommene Aufschlüsse giebt, von Herrn Fernow in Rom, dem Verfasser dieses Aufsatzes, noch einen Plan zur Beförderung der italienischen Literatur vorzulegen, den alle Liebhaber derselben für ein wahres Hermáon halten werden. B.

Notes:

Collected by:
EW