Karl Ludwig Fernow, “Die Improvisatoren” (Part 2)

Fernow provides a detailed history of Italian improvisation, recounting that improvisation (in Latin) experienced a peak in popularity in the court of Pope Leo X, a lover of the art, and that in the course of the eighteenth century a renewal of popularity has brought improvisation to new heights, this time in Italian. The author gives biographies of the most famous improvisatori that he mentions.

Performer Name:
Niccolo Leoniceno; Lorenzo Medici; Serafino of Aquina; Bernardo Accolti; Cristoforo of Florence; Cristoforo Gordi of Forli; Aurelio Brandolini (Lippo Fiorentino); Raffaele Brandolini; Andrea Marone; Camillo Querno; Giovanni Gazoldo; Girolamo Brittanico; Barabello of Gaeta; Mario Filelfi; Pamfilo Gasso; Pico della Mirandola; Ippolito of Ferrara; Luigi Alamanni; Giambattista Strozzi; del Pero; Niccolo Franciotti; Cesare da Fano; Lazaro Bramante; Leonardo da Vinci; Giovanna de’ Santi; Barbara; Cecilia Micheli; Silvio Antoniano; Antonio Gelmi; Perfetti; Giambattista Bindi; Pietro Metastasio; Corilla; Fantastici; Bandettini; Menichina; Livia Sarchi; Gazzeri; Bacchini; Francesco Gianni; Faustino Gagliuffi
Performance Venue:
Rome
Performance Date:
 
Author:
Fernow, Karl Ludwig
Date Written:
1801
Language:
German
Publication Title:
Der neue Teutsche Merkur
Article Title:
Die Improvisatoren (Fortsetzung)
Page Numbers:
3:23-63
Additional Info:
September 1801 issue
Publisher:
 
Place of Publication:
Weimar
Date Published:
1801

Text:

[23] Die Improvisatoren

(Fortsetzung)

 
Zweite Abtheilung.

Die Kunst all’improviso zu dichten wanderte im zwölften Jahrhunderte zugleich mit dem Geiste und den Formen der damals blühenden provenzalischen Dichtkunst nach Italien hinüber, wo sie in dem Genie der Einwohner einen so günstigen Boden und in der geschmeidigen, harmonischen Landessprache einen so bildsamen Stoff vorfand, daß sie nicht allein sich hier lebendig erhielt, sondern auch mit der italienischen Poesie gleiches Schrittes in ihrer Ausbildung fortging, und eine Lieblingsergötzung der geistreichen, feurigen Bewohner dieses schönen Landes wurde, welche unter den beneidenswürdigen Vorzügen desselben keiner der geringsten ist. Wahrscheinlich hat auch der edelste und zarteste unter allen Liebesängern, Petrarca, der von dem Geiste und der sanften Glut der provenzalischen Dichter erfüllt war, diese Kunst geübt; wenigstens ist bekannt, daß er zuerst die schöne Sitte derselben, die leider schon längst wieder erloschen, und nur noch beim Improvisieren üblich ist, die [24] Sitte den Gesang mit der Laute zu begleiten, in Italien eingeführt hat.

Die Geschichte der verflossenen Jahrhunderte nennt die Namen mehrerer, welche durch ihr Talent im Improvisiren, und durch den Ruhm, den sie in dieser bewunderungswürdigen Kunst erlangten, über die Menge der übrigen hervorragten. Aber sorgloser in ihrer Kindheit, als jetzt, hat sie uns aus den ersten Zeiten des Wiederauflebens der Dichtkunst keine Nachrichten von Improvisatoren aufbewahrt, obwohl ihre damalige Existenz nicht zu bezweifeln ist. Die frühesten, deren sie erwähnt, lebten am Ende des XVten und zu Anfange des XVIten Jahrhunderts, vornemlich zu den Zeiten des Papstes Leo X, welcher durch den edeln Eifer, womit er nach dem Beispiele seines großen Vaters Lorenzo Medici des Herrlichen alle Musenkünste um seinen Thron versammelte, sich der unsterblichen Ehre würdig machte, dem goldenen Zeitalter der neueren Kunst seinen Namen zu geben.

Auch diese Kunst des Genie’s, die schon Papst Sixtus IV unter seine Hofergötzungen aufnahm, fand, wie alle übrigen, in Leo X einen huldreichen Beförderer. Sein Hof war ein Sammelplatz der ausgezeichnetsten Talente Italiens, wo jeder, dem die Natur einen solchen Adelsbrief ertheilt hatte, freien Zutritt, Ehre und Belohnung fand. Seine Abend- [25] mahlzeiten — nicht schändliche Bacchanale der ausschweifenden Wollust, wie die Abendmahlzeiten eines Alexander Borgia und seiner ehrlosen Gesellen — waren gewöhnlich der Schauplatz froher und rühmlicher Wettkämpfe des Genie’s, wo, vor einer auserlesenen Gesellschaft geistreicher und gelehrter Männer, Dichter und witzige Köpfe ihre Kräfte mit einander maßen. In gleichem Ansehen stand diese Kunst damals an den glänzenden Höfen Italiens, dem von Urbino, Ferrara, Mantua, Mailand und Neapel. Dieser Geist eines frohen von den Musen und Grazien bekränzten Lebensgenusses, welcher, wie das meiste Gute und Schöne jener Zeiten, den Mediccern sein Daseyn verdankte, hatte sich fast allgemein an den Höfen und in den Palästen der Großen verbreitet. Mitten im wilden Getümmel der Kriege, welche Italiens reizende Fluren verheerten, war es Sitte geworden, das Talent zu ehren, zu beschützen und zu belohnen. Italiens Fürsten waren deshalb nicht selten eifersüchtig auf einander, und buhlten um den Besitz großer Dichter und Bildner. Kein Wunder, wenn in diesem belebenden Sonnenglanze des Glückes und des Ruhmes, Talente aller Art in solcher Menge und Trefflichkeit gediehen, daß fast jeder Fürst Italiens eine Krone der edelsten um sich versammeln konnte.

Aber seit Dante und Petrarca war mehr als Ein Jahrhundert verflossen und die italienische Sprache [26] und Poesie hatte in dieser langen Zeit keine neuen Fortschritte gemacht, weil ihre Nachfolger bloße Nachahmer waren; im Gegentheil waren beide wieder in eine gewisse Rohheit zurückgesunken; überdies war die lateinische Sprache, vorzüglich am Hofe der Päpste, die Sprache der Gelehrten und Verskünstler, weil man aus unzeitiger Achtung für das Alterthum den Wahn hatte, daß die sublimen Platonischen Ideen, worin die Filosofen und schönen Geister jener Zeiten sich berauscht hatten, in der lingua volgare nicht würdig genug ausgedrückt werden könnten; obgleich jene beiden großen Lichter hinlänglich gezeigt hatten, was diese Sprache unter den Händen des Genie’s sowohl im Erhabenen, als im Zärtlichen und Geistreichen schon so frühe vermochte. Dieser Wahn hatte auch auf die extemporane Poesie den nachtheiligen Einfluß, daß in dieser Periode die Meister im Improvisiren meistens in lateinischer Sprache sangen. Erst nachdem mehrere große Männer, die bei der Nazion in Achtung standen, ein Lorenzo Medici, Bembo, Bojardo, Bernardo Tasso, Ariost u.a. der lebendigen Landessprache einen neuen Dichterschwung gegeben hatten, verlor allmählig die Lateinische das Primat, und die extemporane Poesie ward nun ein ächtes Nazionalgut.

Der erste Improvisatore, dessen die Geschichte der itanienischen Literatur erwähnt, ist Niccolo Leoni- [27] ceno von Vicenza, geboren im J. 1428, einer der gelehrtesten Aerzte seiner Zeit und Lehrer des Kardinals Bembo. Der große Lorenzo Medici, der selbst in seiner Jugend diese Kunst zum Vergnügen trieb, schätze ihn hoch, und Leo X, dessen Gelangung zur päpstlichen Würde er noch erlebte, gab ihm in einem Breve ein freiwilliges Zeugniß seiner Achtung. Er starb 98 Jahr’ alt.

Serafino von Aquila, im Jahre 1466 geboren, übte diese Kunst mit so großem Beifall und Ruhm aus, daß mehrere Fürsten Italiens um seinen Besitz wetteiferten; und er brachte seine Lebenszeit abwechselnd an ihren Höfen zu. Während derselben ward er fast vergöttert und dem Petrarca gleich geschätzt. Diesen außerordentlichen Beifall, welcher bald nach seinem Tode aufhörte, verdankte er vornehmlich der persönlichen Anmuth und Lieblichkeit, womit er seine Verse zum Saitenspiel sang. Er starb um das Jahr 1500, im 34sten seines Alters zu Rom.

Bernardo Accolti von Arezzo gebürtig und wegen seiner großen Meisterschaft im Improvisiren der Einzige genannt, erwarb sich zuerst am Hofe des Herzogs von Urbino, und dann am Hofe Leo’s des Zehnten mit seiner Kunst einen bis dahin beispiellosen Beifall. Wenn sich — sagt ein gleichzeitiger Schriftsteller — das Gerücht durch Rom verbreitete, [28] daß der Einzige singen würde, so wurden die Kramläden geschlossen und das Hinzudrängen war so stark, daß man die Thüren des Hauses, wo er sang, mit Wachen besetzen mußte; die gelehrtesten Männer und ehrwürdige Prälaten eilten in die Wette herbei um ihn zu hören, und sein Gesang wurde oft durch den lauten Beifall der Zuhörer unterbrochen.

Nicht minder berühmt war ein gewisser Cristoforo von Florenz, mit dem Zunamen l’altissimo, welcher auf diese Weise ein großes romantisches Rittergedicht, i Reali betitelt, verfertigte. Während er dasselbe all’improviso sang, ward es von seinen Freunden niedergeschrieben, und nach seinem Tode im Jahre 1734 erschien es im Druck. Es erhebt sich nie über das Mittelmäßige und sinkt oft unter dasselbe. Ein Florentiner, dessen Ruscelli gedenkt ohne ihn mit Namen zu nennen, und der vielleicht eben dieser Cristoforo war, pflegte oft unter guten Freunden den ersten besten lateinischen Dichter aufzuschlagen und ein Stück aus demselben auf der Stelle in ottave rime übersetzt, zur Leier abzusingen.

Die Geschichtschreiber jener Zeit gedenken dreier blinder Improvisatori, deren erster Cristoforo Gordi von Forli gebürtig um das Jahr 1500 lebte. Der zweite, Aurelio Brandolini von Florenz, auch Lippo Fiorentino genannt, verlor in der frühesten Kindheit sein Gesicht, brachte es aber [29] dessen ungeachtet im Improvisiren zu solcher Vollkommenheit, daß er es mit den besten seiner Zeit aufnahm und sich öfter vor dem Papst Sixtus IV mit Beifall hören ließ. Einst als man ihm in Verona das Lob der berühmten Männer des Alterthums, die Verona hervorgebracht hat, zum Thema gab, sang er auf der Stelle das Lob des Catull, des Cornelius Nepos und des jüngern Plinius in bewundernswürdigen Versen. Ein andermal, wo man ihm des Plinius Naturgeschichte zum Thema gegeben hatte, gab er, wie ein gleichzeitiger Skribent versichert, einen Auszug des ganzen Werks, Buch für Buch, in Versen, ohne auch nur einen bedeutenden Umstand zu übergehen. Sein Ruf erscholl bis an den Hof des Matthias Corvinus, Königs von Ungarn, welcher, nach Weise der italienischen Fürsten, eine Menge gelehrter Männer und schöner Geister um sich versammelte, und auch diesen blinden Sänger zu sich einlud. Brandolini kehrte nach dem Tode dieses Königs nach Italien zurück, und starb 1497 in Rom. Er hatte einen Bruder, Namens Raffaele, der gleichfalls durch einen unglücklichen Zufall das Gesicht verloren hatte, und sich eben so wie jener als Improvisatore berühmt machte. Dieser sang mit mehreren anderen oft an der Tafel Leo’s X, wo er einst von dem Andrea Marone, der ein Herkules in Wettkämpfen dieser Art war, überwunden und zum Schweigen gebracht wurde.

[30] Andrea Marone von Pordenone aus dem Friul gebürtig, der gewaltigste unter allen Improvisatoren am Hofe Leo’s. Er sang über jeden Gegenstand mit außerordentlicher Leichtigkeit in lateinischen Versen, und überwand die meisten seiner Nebenbuhler im Wettgesange. Gleichzeitige Schriftsteller, die ihn gehört haben, erzählen Wunderdinge von ihm. Er begleitete seinen Gesang gewöhnlich mit der Geige, fing gemach an, und je weiter er fortfuhr, um so ströhmender ergoß sich sein Gesang, um so größer ward die Leichtigkeit, das Feuer und die Eleganz seiner Verse. Seine funkelnden Augen, der vom Gesicht triefende Schweiß, das Aufschwellen der Adern auf seiner Stirne, zeugten von der Glut, die in seinem Innern brannte. Ein frohes Staunen fesselte alle Zuhörer, und es schien, als ob er die Dinge, die er im Moment hervorbrachte, lange vorher durchdacht hätte, so klar, reif und wohlgeordnet waren seine Ideen. Je schwieriger die Aufgabe war, um so bewundernswürdiger gelang ihm die Ausführung. Einst bei einer glänzenden Tafel im päpstlichen Pallast, an welcher die fremden Gesandten und die Vornehmsten Roms versammelt waren, ward ihm der heilige Bund, der damals wider den Türken im Werke war, zum Thema gegeben. Er hob seinen Gesang mit den Worten an:

Infelix Europa diu quassata tumultu
Bellorum —

[31] und setzte ihn lange mit so allgemeinem Beifall der Anwesenden fort, daß der Papst ihm nach Endigung desselben ein Benefiz in der Diöcese von Capua zur Belohnung schenkte. Dieser Sänger lebte lange am Hofe Leo’s, der ihm eine Wohnung im Pallast des Vatican gab, allgemein geehrt und geachtet; aber er war nie reich, entweder weil man ihn mit taubem Lobe abspeiste, oder weil er, sorglos nach Poetenweise, die Glücksgöttin nicht zu fesseln wußte. Unter dem Holländer Hadrian IV, den man auch spottweise den Häringspapst zu nennen pflegte, und der die Poeten für schändliche Götzendiener hielt, ward er aus dem Vatican gejagt, aber in der Folge von Clemens VII wieder dahin zurückgerufen. Er ward zu mehreren Malen mit in die Unglücksfälle verwickelt, welche Rom unter der Regierung dieses Papstes erdulden mußte, ward dreimal von den Plünderern ergriffen, grausam gemartert und alles des Seinigen beraubt. Er ging nun nach Capua, kehrte aber bald wieder nach Rom zurück, in der Hoffnung seine Bücher und Schriften wieder zu finden, die er während der Unruhen verloren hatte. Hier fiel er in eine Krankheit und starb arm, elend, von allen verlassen, als Bettler in einer Kneipschenke, im Jahr 1527 und im 53sten seines Alters.

Von sehr verschiedenem Karakter war ein anderer Stegreif-Dichter derselben Zeit, Namens Ca- [32] millo Querno von Monopoli, im Königreiche Neapel, der von den Geschichtschreibern jener Zeiten als ein Erzschmarotzer und Buffone geschildert wird. Sein Talent bestand in einer seltenen Leichtigkeit all’improviso zu singen, die aber von einer noch seltenern Unverschämtheit begleitet war. Querno kam unter Leo X Regierung nach Rom um hier sein Heil zu suchen, und brachte als Dokument seiner poetischen Würde ein lateinisches Gedicht von mehr als 20,000 Hexametern mit, das den Namen Alexiados führte. Mit diesem Gedichte und der Zither in der Hand präsentirte er sich selbst genugsam wie ein Apollo der damals blühenden Römischen Akademie als Improvisatore. Die Akademiker, denen sein festes, mit einer großen Wolkenperücke umgebenes Vollmonds-Gesicht entgegen glänzte, ahndeten in dem Sänger der Alexiade Stoff zu belustigenden Szenen. Man stellte ein großes Gastmahl auf der Tiber-Insel an, wozu auch Querno eingeladen wurde. Nachdem dieser sich seiner Gewohnheit nach im Essen, Trinken und Improvisiren gleich wacker erwiesen hatte, ward sein dreifaches Talent feierlich mit einem Kranze von Kohlblättern, Weinlaub und Lorbeerzweigen gekrönt, und dann der so gekrönte Dichter mit lautem Jubel zum Arcipoeta ausgerufen. Stolz auf die Ehre, die ihm hier widerfahren war, verlangte er dem Papst vorgestellt zu werden. Es geschah, und Leo fand in dem vollwangigen Musensohne eine treffliche Akquisizion für [33] seine Tafelbelustigungen, zu welchen er von Stund an freien Zutritt erhielt. Was ihm von der päpstlichen Tafel gereicht wurde, verschlang der immer hungrige und durstige Poet gewöhnlich am Fenster stehend, und öfters reichte ihm der heilige Vater seinen eigenen Becher zum Trinken dar, mit der Bedingung, daß er wenigstens ein Distichon aus dem Stegreif sagen mußte, und wenn dieses schlecht gerieth, so bekam er zur Strafe stark gewässerten Wein. Zuweilen antwortete der Papst dem Poeten in Versen; z. B. als dieser einst sagte:

Archipoeta facit versus pro mille poetis

antwortete jener:

Et pro mille aliis archipoeta bibit.

Und als bald darauf der durstige Poet anstimmte:

Porrige, quod faciat mihi carmina docta,
 Falernum

Setzte der Papst hinzu:

Hoc etiam enervat, debilitatque pedes.

Womit er auf des Poeten Podagra anspielte. Ungeachtet dieser Vertraulichkeit mit dem heiligen Vater erging es leider dem lustigen Tafelpoeten, wie es gewöhnlich den Buffonen zu ergehen pflegt. Die Beifallsbezeugungen, die er erhielt, waren zuweilen mit Beleidigungen, wohl gar mit Schlägen gewürzt; über- [34] dem hatte er den Verdruß, daß der unbezwingliche Marone ihn im Wettsingen öfter zum Schweigen brachte. Er besuchte darum diese Abend-Symposien seltener und verließ endlich Rom gänzlich, ging nach Neapel, gerieth daselbst in Armuth und Krankheit, und schlitzte sich in einem Anfalle von Unmuth mit einer Scheere den Bauch auf, zerschnitt sich die Eingeweide und starb eines schmerzlichen, grauenvollen Todes.

Unter den Improvisatoren, welche Papst Leo’s Abendmahlzeiten würzten, gab es noch einige andere, die ihre Kunst auf ähnliche Wiese zu Buffonaden herabwürdigten. Unter diesen war einer, Namens Giovanni Gazzoldo, der seiner lächerlichen Verse wegen zuweilen vom Papst verurtheilt wurde, feierlich abgeprügelt zu werden, wodurch er das Mährchen von Rom ward; und ein anderer, Girolamo Brittanico mit Namen, der sich auf dieselbe Weise dem Gespötte preis gab. Ein gewisser Barabello von Gaeta rühmte sich Verse all’improviso zu machen, die den Versen des Petrarca gleich kämen und verlangte deshalb, so wie dieser auf dem Kapitol gekrönt zu werden. Giovius hat den lächerlichen Pomp beschrieben, womit diese Zeremonie begangen werden sollte, die aber hernach unterblieb, weil der Elefant, auf welchem der Poet Barabello im Triumf aufs Kapitol reiten sollte, bei dieser Gelegenheit [35] mehr Verstand zeigte als die Menschen, und durchaus nicht die Engelsbrücke passiren wollte.

Außer den bisher Genannten zeichneten sich zu derselben Zeit noch ein Mario Filelfi, Pamfilo Gasso, Pico della Mirandola, seines großen vielumfassenden Genie’s wegen der Fönir genannt, Ippolito von Ferrara u.a. in dieser Kunst aus, welche meistens der damaligen Sitte gemäß in lateinischen Versen improvisirten.

Nach dem Tode Leo’s X gerieth diese Sitte ziemlich in Verfall; desto mehr aber ward diese Kunst nun in italienischen Versen getrieben. Unter der großen Menge von Improvisatori, welche im Verfolg des XVIten Jahrhunderts blüheten, nennt die Geschichte einen Luigi Alamanni, Giambattista Strozzi, del Pero, Niccolo Franciotti, Cesare da Fano, welche sich sämmtlich zur Zeit Clemens VII in Rom befanden. Auch dürfen wir unter den bildenden Künstlern den Baumeister Lazaro Bramante und den allumfassenden Leonardo da Vinci nicht mit Stillschweigen übergehen. In diesem Jahrhunderte, wo die Liebe zu den schönen Künsten einen allgemeinen Enthusiasmus erregt hatte, und wo auch das schöne Geschlecht seinen Beitrag zur Verschönerung des italienischen Parnasses gab, finden wir zuerst die Namen dreier Dichterinnen bemerkt, wel- [36] che all’improviso sangen: eine Venezianerin Cecilia Micheli, und zwei von Correggio gebürtig: eine Nonne des Klosters St. Antonio in dieser Stadt, Namens Barbara und eine Giovanna de’ Santi.

Aber über alle Improvisatori dieser Zeit ragte Silvio Antoniano hervor, der in der Folge zur Kardinalswürde gelangte, ein Glück, das er seinem Talent verdankte. Er wurde im Jahr 1540 in Rom von einer unbekannten Familie geboren und äußerte sein außerordentliches Talent zum Improvisiren schon in früher Jugend, daher man ihn gewönlich il poetino (den kleinen Poeten) nannte, welchen Namen auch noch ein gewisser Alessandro Zanco und ein Giovanni Leone von Modena führten. Der Kardinal Otto Trucses nahm den jungen Silvio zu sich ins Haus und ließ ihn im Lateinischen, Griechischen und Italienischen gründlich unterweisen, damit sein Geist keiner Bildung ermangele. Einst gab derselbe eine Probe von seiner Kunst, welche Aufsehen und Bewunderung erregte. Bei einem Gastmale seines Gönners, bei welchem auch der Kardinal Giannangelo Medici zugegen war, profezeite er diesem letzteren improvisirend die Gelangung zur päpstlichen Würde; eine Profezeiung, die der Erfolg bald nachher wahr machte. Im Jahr 1555 hörte ihn der Herzog von Ferrara Ercole II, welcher nach Rom gekommen war, um den neuen Papst Marcello zu [37] komplimentiren, und ward von dem Talent des funfzehnjährigen Poetino so eingenommen, daß er ihn mit sich nach Ferrara führte, wo ihm der Herzog eine Pension, und im 17ten Jahre seines Alters einen Lehrstuhl der schönen Wissenschaften ertheilte. Ein gewisser Ricci erzählt in einem Briefe an Giambattista Pigna, den Lebensbeschreiber des Ariosto, daß einst im Frühling, wo Silvio in seiner Villa vor einer Gesellschaft von Freunden improvisirte, eine Nachtigall von dem Klange der Laute angelockt, so lieblich und kunstreich zu flöten und zu gurgeln angefangen habe, als ob sie sich mit dem Silvio in einen Wettstreit einlassen wollen, so daß alle Anwesenden in Verwunderung gerathen seyen; daß Silvio, durch dieses wunderbare Ereigniß begeistert, seinen Gesang an die kleine Sängerin gerichtet und in schönen Versen ihr Lob gesungen habe. Er gab öftere Proben seines Talents in Venedig vor der Königin Bona von Pohlen, und in Florenz wohin er den Erbprinzen Alfonso von Ferrara begleitete. Barchi, einer der ersten Florentinischen Gelehrten jener Zeit, und selbst Dichter, sagt von ihm: "Ich für meinen Theil habe nie etwas gehört (obwohl ich alt bin und viel in der Art gehört habe) was mir bewundernswürdiger geschienen hätte, als das Improvisiren des Messer Silvio Antoniano, als er mit dem erlauchten und vortrefflichen Prinzen Don Alfonso in Florenz war. Er war in diesem zarten Alter ein Naturwunder, ein [38] Ungeheuer; man merkte ihm an, daß er in Messer Annibal Caro’s Schule gewesen war, und wenn ich selbst ihn nicht gehört hätte, so würde ich nie geglaubt haben, daß es möglich sey, so sinnreiche und anmuthige Verse all’improviso zu singen. Ich hab ihm zweimal das Thema, wovon er eins in terze rime, und das andere in ottave rime ausführte, und alles, was über die aufgegebenen Materien zu sagen war, mit bescheidener Grazie sagte. Papst Pius IV (ehemaliger Kardinal Giannangelo Medici) berief gleich nach seinem Regierungsantritte den Silvio nach Rom und machte ihn zum Sekretair seines Neffen des jungen Kardinal Borromeo, und so stieg er durch die verschiedene Ämter und Ehrenstellen endlich zur Kardinalswürde empor, die ihm Papst Clemens VIII im Jahr 1598 ertheilte. Er starb in Rom 1603, 63 Jahre alt.

Wir übergehen der Kürze wegen eine Menge anderer, nicht minder geschickter und bewunderter Improvisatori, die in mehreren Städten Italiens zerstreut, ihre Kunst ausübten, deren Studium sich immer allgemeiner verbreitete, dergestalt, daß oft auch Leute niederen Standes, von ächtem Dichtergenius getrieben, sich auf diese Kunst legten und in ihr zu großer Meisterschaft gelangten. So z.B. erwähnt Maffei eines Beckers in Verona, Namens Antonio Gelmi, der um das Ende des XVIten Jahrhunderts [39] lebte und als einer der größten Improvisatori bewundert wurde. Er sang über jedes ihm aufgegebene Thema und in allen Versarten. Oft gaben ihm mehrere Zuhörer, jeder einen Vers, den er am Ende jeder Stanze so geschickt mit seinen eigenen Versen zu verbinden wußte, als ob er von ihm selbst wäre verfertiget worden.

Im folgenden XVIIten Jahrhunderte theilte die Kunst des Improvisirens mit der geschriebenen Poesie den Einfluß der Geschmacksverderbniß, welche damals allgemein in Italien herrschte. Die Geschichte hat wenig Nachrichten und Produkte von Improvisatoren aus dieser Epoche aufbewahrt, und wahrscheinlich ist der Schaden nicht groß; denn auch unter den zahlreichen gedruckten Poeten jener Zeit sind nur wenige dieser Ehre würdig.

Im jüngstverflossenen achtzehnten Jahrhunderte hat die extemporane Dichtkunst, so wie die italienische Poesie überhaupt, sich nicht nur wieder zu einem reineren Geschmack erhoben, sondern sie hat auch durch mehrere ausgezeichnete Talente einen neuen Schwung, ein allgemeineres Interesse und einen Grad vom Vollkommenheit erhalten, den sie vielleicht selbst im Jahrhunderte Leo’s nicht hatte. Und wenn sie gleich in unsern Zeiten der zweideutigen Ehre entbehrt, von Päpsten und Fürsten zur Tafelbelustigung gebraucht [40] und gemißbraucht zu werden; so ist sie doch immer noch, und vorzüglich seit dem letzten Viertel des verflossenen Jahrhunderts, die Lieblingsbeschäftigung genialischer Geister und eine der edelsten und reinsten Vergnügen des gesellschaftlichen Lebens für den gebildeteren Theil dieser geistreichen und für das Kunstschöne vielleicht mehr als jede andere empfänglichen Nazion.

Da nun nicht allein diese Zeiten uns näher liegen, sondern auch einige der größten Meister und Meisterinnen in dieser Kunst noch jetzt blühen, und andere vor kurzem Verstorbene in noch frischem Andenken sind: so wird es vielleicht dem teutschen Leser nicht unwillkommen seyn, wenn wir ihm von den neueren und neuesten Virtuosen in dieser Kunst, von ihren Lebensumständen, von ihrem Kunstkarakter und von ihren Produkten einige Nachrichten mittheilen, so wie der Verfasser sie theils aus Schriften, theils durch freundschaftliche Mittheilung, theils durch eigene Erfahrung zu erhalten Gelegenheit gehabt hat.

Der berühmteste Improvisatore in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts war der Kavaliere Bernardino Perfetti von Siena, wo er im Jahr 1682 geboren wurde. Sein Talent zur Poesie offenbarte sich schon in früher Jugend; denn bereits im siebenten Jahre seines Alters verfertigte er Sonette [41] und extemporirte Verse. Er verließ im 16ten Jahre das Jesuiter-Kollegium, wo er bis dahin erzogen worden war, und beschäftigte sich vorzüglich mit dem Studium der Poesie, wozu er den Ruf der Natur so mächtig in sich fühlte, und sein Trieb zu dieser Kunst ward noch mehr angefeuert durch den Beifall, den ein gewisser Giambattista Bindi sich damals in seiner Vaterstadt durch Improvisiren in der scherzhaften Manier des Berni erwarb. Der junge Dichter kultivirte dabei das Studium der Rechtsgelahrtheit, wozu er bei den Jesuiten den Grund gelegt hatte, mit solchem Erfolg, daß ihm der Großherzog Cosimo III einen Lehrstuhl des bürgerlichen und kanonischen Rechts auf der Universität zu Siena ertheilte. Diese ernsthafteren Beschäftigungen seines Geistes hinderten ihn aber nicht, dem Drange seines Talents nachzugeben und seine Erholungsstunden dem Improvisiren zu widmen. Am liebsten sang er an schönen Sommerabenden, von einem Zirkel seiner Freunde begleitet, auf der Gasse. Einst als er so das Lob einiger edeln Sienesischen Familien sang, ergoß sich die Fülle seiner Begeisterung in einen so reichen Strom schöner Verse, daß die ihn umgebende Menge, von Bewunderung hingerissen, ihn mit lautem Jubel, wie im Triumf bis an seine Wohnung begleitete. Dieser Vorfall verbreitete den Ruf seines Talents durch Siena und gab ihm Muth, mit seiner Kunst öffentlich aufzutreten. Aber er erkannte bald, daß auch das [42] größte Talent für sich allein unzureichend ist, und daß er in dieser Kunst nur durch eine möglichst ausgebreitete Kultur des Geistes den Grad von Vollkommenheit erreichen könne, wozu er Trieb und Kraft in sich fühlte. Er ergriff darum das Studium der Wissenschaften mit neuem Eifer, entschlossen die Sfäre aller Erkenntniß zu durchwandern, und in keiner ein Fremdling zu bleiben. Sein durchdringender Geist und sein glückliches Gedächtniß unterstützten ihn darin dermaßen, daß er sich bald im Stande sah, jedes wissenschaftliche Thema, das ihm vorgelegt wurde, mit solcher Gründlichkeit zu behandeln, daß es schien, als ob er in allen Wissenschaften Meister sey; dabei gelangte er durch stete Übung zu einer solchen Leichtigkeit und Gewißheit, daß es in dieser schweren Kunst keine Schwierigkeiten mehr für ihn gab. So ausgerüstet legte er in den meisten großen Städten Italiens Beweise seiner Meisterschaft ab, und auch jenseits der Alpen zu München, wohin er auf Veranlassung des Kurprinzen, nachherigen Kaisers Karl VII mit der Erzherzogin von Österreich, eine Reise machte, erwarb er sich allgemeine Bewunderung und fand in der Prinzessin Violante eine Beschützerin und Freundin. Als diese Fürstin im Jubeljahre 1725 Rom besuchte, kam auch Perfetti in ihrem Gefolge dahin, und der Beifall, den seine Kunst in dieser Stadt fand, war so groß, daß Papst Benedikt XIII, der nichts weniger als ein Liebhaber und Kenner der Poe- [43] sie war, ihm aus eigener Bewegung — oder wie andere wollen, aus Bewegung seiner Beschützerin Violante — die Ehre der feierlichen Krönung auf dem Kapitol zugestand; eine Ehre, die bis dahin blos dem Petrarca zu Theil geworden, und auch dem Torquato Tasso zugedacht war, wenn nicht der Tod ihn am Abend vor der Krönung hinweggerafft hätte. Obgleich Perfetti’s Talent und Ruhm über allen Zweifel erhaben war, so sollte er doch, seiner eigenen Ehre wegen, sich durch neue Beweise seiner Meisterschaft dazu legitimiren. Er wurde deshalb drei Abende nach einander von eigens dazu ernannten Examinatoren geprüft, und mußte zwölf ihm vorgelegte Aufgaben aus der Theologie, Jurisprudenz, Filosofie, Medizin, Geschichte, Mathematik, Filologie, Gymnastik, Poesie, Musik und den bildenden Künsten all’improviso in Versen beantworten; und am letzten Abende wiederholte er den Inhalt aller in den vorhergehenden Abenden ihm vorgelegten Fragen, ohne die Ordnung der Materien zu verwirren, mit so vieler Geistesgegenwart und Leichtigkeit, daß alle Anwesenden erstaunten und kein Neider seine Stimme gegen ihn zu erheben wagte. Der Ausspruch der Richter nach dem Examen war, daß der Dichter bis dahin alle anderen Improvisatori, während der drei Tage öffentlicher Prüfung aber sich selbst übertroffen habe. Darauf ward endlich der Dichter am 23ten Mai desselben Jahres in Gegenwart der Kardinäle, Prinzen, [44] Prälaten, vieler Gelehrten und der Prinzessin Violante von dem Marchese Mario Frangipani, derzeitigen Senator von Rom, feierlich auf dem Kapitol gekrönt. Der Zug ging in einer glänzenden Prozession vom Kollegio romano den kapitolischen Hügel hinauf und der Sänger saß in einem vergoldeten Triumfwagen. Nach vollbrachter Krönung begab sich dieser, als ein guter katholischer Christ, unmittelbar vom Kapitol nach der Kirche St. Maria de’ Martiri (dem Pantheon), um der Madonna für den ihm geleisteten Beistand seinen Dank abzustatten. Darauf ward er von der Akademie der Arkadier feierlich zu einer außerordentlichen Versammlung eingeladen, wo er gleichfals Proben seiner Kunst ablegte, von dem Kustode der Akademie mit einer Lobrede beehrt und zum Mitgliede unter dem Namen Alauro Euroteo aufgenommen wurde. Die Stadt Rom ertheilte ihm und seinen Nachkommen das Bürgerrecht, mit der Erlaubniß, einen Lorbeerkranz im Familienwapen zu führen; in Rom und Florenz wurden dem Dichter zu Ehren Medaillen geprägt, und die Sieneser sandten eine Deputation nach Rom, um den Papst für die ihnen in ihrem Mitbürger erwiesene Ehre Dank abzustatten. So sah man hier jene schöne Sitte des Alterthums erneuert, wo die Belohnung eines Talents, das der Nazion Ehre brachte, als eine Angelegenheit der Nazion behandelt ward. Perfetti starb zu Siena am Schlagfluß, im Jahre 1747 und [45] im 66sten seines Alters. Dieser Dichter sang am liebsten in ottave rime, aber nach Beschaffenheit der Süjets, die ihm vorgelegt wurden, auch in allen andern Sylbenmaßen; er führte vornehmlich den Gebrauch der anakreontischen Sylbenmaße ein, deren man sich vor ihm wenig oder gar nicht zum Improvisiren zu bedienen pflegte, wodurch er seinen Nachfolgern, vorzüglich denen vom andern Geschlecht, die Ausübung der Kunst sehr erleichterte. Von ihm stammt auch die Einführung der Sitte, die verschiedenen abgehandelten Materien zu riepilogiren und daraus einen Schlußgesang zu machen, in welchem er auch die desperatesten Dinge durch passende Übergänge auf eine sinnliche Art zu verbinden wußte. Es war ihm ein Leichtes, hundert und mehr Terzinen nach einander nicht, wie sonst gewöhnlich, zu singen, sondern wie aus dem Gedächtniß herzusagen; und auf jedes Sonett, so viel man ihm deren vortragen mochte, antwortete er auf der Stelle in denselben Reimen. Fabroni, der sein Leben beschrieben hat, führt mehrere Beispiele seines erstaunlichen Talents und seiner beispiellosen Fertigkeit an. Wenn der Strom der Begeisterung ihn dahin riß, sang er mit solcher Geschwindigkeit, daß der Musiker, der seinen Gesang begleitete, oft nicht ihm zu folgen vermochte; sein Auge flammte, seine Brust athmete schwer, und sein Blut gerieth in so heftige Wallung, daß er sich nach dem Singen wie abgemattet und entseelt fühlte, und die [46] auf einen solchen Abend folgende Nacht gewöhnlich schlaflos zubrachte. Die außerordentlichen Beifalls- und Ehrenbezeugungen, womit man diesen Künstler, als den ersten Improvisatore Italiens überall aufnahm, hatten auf seinen Karakter keinen Einfluß; sie machten ihn weder hoffärtig, noch eingebildet, noch eigensinnig. Er war immer bescheiden und gefällig, und es kostete keine Schwierigkeiten, ihn zum Singen zu bringen, wenn er auf ein verständiges Auditorium rechnen konnte. Aber von einer löblichen Selbstliebe berathen, erlaubte er nicht, daß seine Verse nachgeschrieben würden. Zufrieden mit dem Beifall des Augenblicks, den der Enthusiasmus der Hörer ihm zollte, wollte er seinen erworbenen Ruhm nicht einer kalten sylbenzählenden Kritik preisgeben. Dessen ungeachtet hat man eine Sammlung von seinen Gedichten in zwei Bänden, welche nach seinem Tode im Jahre 1748 im Druck erschienen, und mehr das Verdienst des Talents und der ihm eigenen Leichtigkeit der Versifikation, als der Feile haben. Dem Papst Klemens XI, der ihm einst wegen seines außerordentlichen Talents die schmeichelhaftesten Lobeserhebungen machte, gab er zur Antwort: "Heiliger Vater! mein Talent ist eine Gabe Gottes; wie der wollte, daß der Esel Bileams rede, so wollte er auch, daß ich ein Dichter sey."

Pietro Metastasio, der Sohn eines geringen Kramers, Namens Trapassi, in Rom, wurde [47] im Jahre 1688 geboren, und zeigte schon in seiner zarten Jugend ein entschiedenes Talent zur Dichtkunst, indem er ohne alle Bildung aus bloßem Drange des angebornen Triebes auf den Gassen und Plätzen improvisirte, und die Aufmerksamkeit aller Vorübergehenden erregte. Diese frühen Äußerungen seines poetischen Instinkts machten ihn auch dem großen Rechtsgelehrten Gravina bekannt, welcher den jungen Trapassi an Kindes Statt zu sich nahm, seinen Namen, gleichsam als ob er den Knaben dadurch den Musen weihen wollte, in den gleichbedeutenden griecheischen Namen Metastasio übersetzte, und ihm eine Erziehung gab, welche ihm die Quellen der poetischen Kultur öffnen und seine seltenen Anlagen entwickeln konnte. Aber das Singen all’Improviso war für Metastasio’s zartes Nervensystem zu angreifend; denn oft, wenn er von poetischer Begeisterung hingerissen, seine Kräfte zu stark angespannt hatte, fiel er in eine solche Ermattung, daß man ihn zu Bette bringen, und seine erschöpften Lebensgeister durch stärkende Mittel wieder herstellen mußte. In diesem Zustande der Entkräftung blieb er oft vier und zwanzig Stunden lang. Da diese Symptome öfter wiederkehrten und seinem Leben Gefahr drohten, so mussten die Ärzte ihm die Ausübung dieser Kunst gänzlich untersagen. Sein Genius nahm nun unter der günstigen Leitung der Sängerin Marianna Bulgarini, welche für den jungen Dichter eine zärtliche [48] Freundschaft gefasst hatte, eine andere Richtung und öffnete ihm eine schönere Bahn der Unsterblichkeit, auf welcher er der Schöpfer des neueren italienischen Singspieles, und noch bei seinem Leben der Lieblingsdichter der ganzen gebildeten Welt wurde, dessen Werke in London und Filadelfia, in Lissabon und in Petersburg, mit gleichem Beifall wie in Florenz gelesen werden.

Unter der Menge italienischer Dichterinnen des achtzehnten Jahrhunderts haben sich mehrere in dieser Kunst ausgezeichnet, und durch die Reize, die das schöne Geschlecht über die Künste der Musen verbreitet, nicht wenig zu ihrer Aufnahme beigetragen. Vornemlich haben in der letzten Hälfte desselben drei unter ihnen ihren Namen als Improvisatrici berühmt gemacht, nemlich: Maddalena Morelli, bekannt unter ihrem arkadischen Namen Corilla; Fortunata Fantastici und Teresa Bandettini, welche letztere unter den jetztlebenden Dichterinnen Italiens den ersten Platz behauptet; außer diesen nennt der Ruf noch eine toskanische Bäuerin, Namens Menichina, eine Livia Sarchi, eine Gazzeri, eine Bacchini, die wir hier blos genannt zu haben uns begnügen.

Maddalena Morelli Fernandez von Pistoja gebürtig, unter den Arkadiern Corilla [49] Olimpica genannt, wurde fast ein halbes Jahrhundert hindurch als die erste Improvisatrice Italiens bewundert, und ihre feierliche Krönung auf dem Kapitol im Jahr 1776, dem zweiten Regierungsjahre Pius VI, verbreitete ihren Namen und Ruhm durch ganz Europa. Corilla war bereits ein Jahr früher in der Akademie der Arkadier feierlich gekrönt worden, und sie ist bis jetzt die einzige in neueren Zeiten öffentlich gekrönte Dichterin. Diese seltene Ehre widerfuhr ihr vornemlich auf Betrieb ihres Beschützers und Freundes, des Prinzen Don Luigi Gonzaga di Castiglione; und Pius VI war um so bereitwilliger dazu, weil eine Feierlichkeit so seltener Art auch auf seine Regierung einen Glanz werfen konnte. Die Krönung der Corilla gab einem Schriftsteller Veranlassung zu bemerken, daß im achtzehnten Jahrhunderte ein Improvisatore (der Cavaliere Perfetti) auf Betrieb eines Weibes (der Prinzessin Violante), und eine Improvisatrice auf Betrieb eines Mannes gekrönt worden sey. Diese Feierlichkeit, welche ganz der Krönung des Perfetti gleich veranstaltet wurde, ist ausführlich in einer Sammlung von Gedichten beschrieben, welche bei dieser Gelegenheit zur Ehre der Dichterin verfertiget, und von Bodoni in Parma im Jahre 1779 mit vieler typografischer Pracht gedruckt wurden. Corilla ward eben so wie Perfetti von eigens dazu ernannten Examinatoren geprüft, welche ihr während dreier [50] Abende zwölf verschiedene Themata aus der geistlichen Geschichte, geoffenbarten Religion, Moralfilosofie, Fysik, Metafysik, epischen Poesie, Gesetzgebung, Redekunst, Mythologie, Harmonie, bildenden Kunst und Pastoralpoesie vorlegten, die sie vor einer gewählten Versammlung beiderlei Geschlechts in der Wohnung ihres Gönners, des Prinzen Gonzaga, all’improviso ausführen mußte. Sie ward sodann am 31sten August feierlich auf dem Kapitol gekrönt und sammt ihren Nachkommen in den römischen Adelstand erhoben. Aber es war mit dem Examen der Dichterin nicht allerdings aufrichtig zugegangen; denn man hatte ihr die ihr vorzulegenden Fragen vorher mitgetheilt, um sich vorbereiten zu können. Dieses blieb nicht verborgen und gab ihren Neidern Gelegenheit zu satirischen Ausfällen; aber die Regierung, welche ihre Ehre dabei gefährdet glaubte, nahm sich der Sache an, und die Furcht brachte die Spötter zum Schweigen. Einem noch lebenden römischen Gelehrten und Freunde der Corilla, welcher den ganzen Briefwechsel in Händen hatte, der bei jener Gelegenheit zwischen der Dichterin, ihrem Beschützer und ihren Examinatoren geführt worden war, wurden im Namen der Conservatori diese Papiere abgefodert; er wußte aber Zeit zu gewinnen, um eine Abschrift davon zu nehmen, die derselbe auch noch gegenwärtig besitzt. Indessen konnte durch die Bekanntwerdung dieses unschuldigen Betruges der Ruhm der Corilla [51] als Dichterin nichts verlieren; denn ihr Talent war zu bekannt, und sie hatte in allen großen Städten Italiens hinlängliche Proben ihrer außerordentlichen Fertigkeit gegeben; aber die bei einem Frauenzimmer sehr verzeihliche Besorgniß, daß es ihr an der nöthigen Gelehrsamkeit mangeln möchte, um jedes ihr vorgelegte wissenschaftliche Thema auf der Stelle zu behandeln, machte ihr eine vorläufige Mittheilung und Erklärung der Aufgaben nothwendig. Corilla hatte alle Naturanlagen, welche zu dieser Kunst gehören, und eine unerschöpfliche Leichtigkeit in der Darstellung; aber sie besaß keine andere Kultur des Geistes, als die, welche sie durch das Lesen der italienischen Dichter, und durch den steten Umgang mit den geistreichsten Gelehrten dieses Landes erworben hatte; daher ließ sie, wenn ihr wissenschaftliche Aufgaben vorgelegt wurden, sich gewöhnlich den Gegenstand erst erklären, und behandelte ihn dann auf der Stelle mit aller poetischen Kunst, die ein Produkt ihres Talents war. Überdieß besaß Corilla nach dem Zeugnisse aller, die sie gekannt haben, den liebenswürdigsten Karakter und eine natürliche Herzensgüte, welche ihr eben so die Gunst aller Herzen erwarb, wie ihr großes Talent alle Geister bezauberte. Sie brachte den letzten Theil ihres Lebens in Florenz zu und starb daselbst am 8ten November des verwichenen Jahres. Am 25sten desselben Monats ließ der Französische General Miollis, der die italienischen Musen in seine beson- [52] dere Protekzion genommen hat, ihr Andenken durch eine glänzende Todtenfeier verherrlichen, und das Haus, welches sie bewohnt hatte, mit der einfachen Inschrift zieren: Hier wohnte Corilla im achtzehnten Jahrhundert. Im Saal der Arkadier zu Rom ist die Büste dieser Dichterin neben der Büste Metastasio’s aufgestellt.

Fortunata Sulgher, bekannter unter dem Namen Fantastici, wurde etwa um die Hälfte des letztverwichenen Jahrhunderts in Livorno geboren, wo die Umstände ihres Vaters, welcher daselbst Kaufmann war, durch Unglücksfälle in Verfall geriethen, so daß nach dem Tode ihrer Ältern, der vom Glücke weniger als von der Natur begünstigten Fortunata keine andere Aussichten übrig blieben, als die, welche sie selbst sich zu eröfnen fähig war. Diese bedrängte Lage foderte sie um so stärker auf, ein Talent zu kultiviren, durch welches sie schon öfter im freundschaftlichen Kreis Beifall und Aufmunterung eingeärndtet hatte, und eine Bahn zu betreten, auf welcher ihr Corilla, welche gerade damals in der Blüthe ihres Ruhmes stand, als ein glänzendes Muster vorleuchtete. Sie ging deshalb nach Florenz, wo sie nicht lange unbemerkt blieb, wo sie Aufmunterung, Unterstützung und Freunde fand, deren lehrreicher Umgang für sie eine Akademie aller mannigfaltigen Kenntnisse wurde, welche zur glücklichen Ausübung [53] einer so viel umfassenden Kunst unentbehrlich sind. Vorzüglich nahm der gelehrte Abt Fontani (den man nicht mit dem Arzt Fontana verwechseln muß) sich der Bildung der jungen Dichterin an, und, um sie unmittelbar an die Quelle zu führen, lehrte er sie die lateinischen und griechischen Dichter in der Ursprache lesen. Sie verheurathete sich in Florenz mit einem Goldschmidt, Namens Fantastici, unter welchem Namen sie sich in der Folge auf ihren Reisen durch die vornehmsten Städte Italiens berühmt machte, und lebt mit denselben noch gegenwärtig in mäßigen Umständen, aber in einer glücklichen und kinderreichen Ehe. Sie stand mit der Corilla viele Jahre hindurch in freundschaftlichen Verhältnissen, und improvisirte am Tage der Todtenfeier dieser Dichterin zu ihrem Lobe. Mit weniger eigenthümlichen Genius als Corilla, und mit weniger Sapphischer Glut und Eleganz als die Bandettini, besitzt die Fantastici die glückliche Leichtigkeit beider, und die Gabe der Mnemosyne, welche unter den mancherlei Gaben, die zu dieser Kunst ihren Beitrag liefern müssen, die unentbehrlichste ist, und nicht selten das Genie vertritt: ein nie versagendes und mit poetischen Stoffe alter und neuer Dichterwerke reichlich genährtes Gedächtniß.

Teresa Bandettini, unter den Arkadiern Amarilli Etrusca, von Lucca gebürtig, wo ihr [54] Vater Kaufmann war. Dieser starb im achten Jahre ihres Alters und hinterließ ein ziemlich zerrüttetes Hauswesen, so daß der Familie nur ein kärglicher Unterhalt blieb. Teresa zeigte schon in ihrer zarten Jugend bei einer einnehmenden Bildung ungewöhnliche Anlagen, einen lebhaften Geist und eine vorzügliche Neigung zum Tanz und zur Lektüre. Da die Mutter durch ihre häusliche Lage sich gehindert sah, ihrer Tochter die Erziehung zu geben, welche ihr Stand zu erfodern schien; so entschloß sie sich, wenigstens die Anlage zur Tanzkunst in ihr zu kultiviren, damit sie bald fähig werde, ihren Unterhalt auf dem Theater zu erwerben. Nachdem die junge Teresa einige Jahre hindurch diese Kunst schulmäßig erlernt hatte, betrat sie im dreizehnten Jahre ihres Alters zum erstenmal zu Venedig das Theater. Hier erwachte der in ihr schlummernde Trieb zur Dichtkunst auf Veranlassung einer zärtlichen Freundschaft, die sie zu einer andern jungen Tänzerin von ihrem Alter gefasst hatte; diese ward der Gegenstand ihrer poetischen Erstlinge. Bald wurde das Talent der kleinen Luccheserin bei der Truppe bekannt, und die Schauspieler bedienten sich desselben in ihren Liebesangelegenheiten, wo es der jungen Teresa nie an Gelegenheit fehlte, ihr Talent zu üben und sich in fremde Situazionen zu versetzen. Sie kehrte nach Verlauf der Theaterzeit wieder in ihre Vaterstadt zurück, und da sich sogleich kein neues Engagement fand, [55] entschloß sie sich, theils aus Neigung, theils aus dem Wunsche, ihrer Mutter nicht lästig zu fallen, ihr poetisches Talent ins Spiel zu setzen. Sie gieng in die nahe gelegenen Bäder von Lucca und ließ sich von den dort anwesenden Fremden mit kleinen kunstlosen Gesängen all’improviso hören, welche sie auf eine so anmuthige und einschmeichelnde Weise vorzutragen wußte, daß sie immer Beifall und Belohnung erhielt. Der Graf Savioli, der sich durch seine Amori als einen der elegantesten unter den lebenden Dichtern Italiens bekannt gemacht hat, lernte hier die junge Dichterin kennen, und nahm sich ihres aufstrebenden Talents an, so viel es Zeit und Umstände es dermalen erlauben wollten. Seine aufmunternden und lehrreichen Winke waren für sie eben so viele begeisternde Funken, welche den edelsten Enthusiasmus des Schönen in ihrer Brust entzündeten und sie das Bedürfniß einer höhern Geisteskultur kennen lehrten. Sie fing nun ernstlicher als je an, die Dichter ihrer Nazion zu studiren, und ergriff dabei jede Gelegenheit, ihr Talent zu üben. An ein gründliches Studium war für jetzt nicht zu denken. Sie kehrte im folgenden Winter wieder zum Theater zurück und verheirathete sich einige Jahre später an den Tänzer Landucci, mit welchem sie noch gegenwärtig in zufriedener Ehe lebt. Sie ging darauf mit der Gesellschaft, bei welcher sie sich befand, nach Mailand, wo sie mit ihrem seitdem mehr entwickelten und geübten Talent [56] Aufsehn erregte. Einige edeldenkende und bemittelte Freunde der Kunst interessirten sich thätig für sie, und schossen eine Summe zusammen, die sie in den Stand setzte, das Theater zu verlassen und ihre Kunst sowohl, als die zur Ausübung derselben nöthigen Hülfswissenschaften, gründlicher zu studieren. Man gab ihr Lehrer, die sie im Lateinischen und in der italienischen Dichtkunst unterrichteten, und ihr die Quellen derjenigen Erkenntnisse aufschlossen, die dem Dichter unentbehrlich sind. Ihr glückliches Talent überwand leicht alle Schwierigkeiten und eilte der Zeit so zuvor, daß sie nach einigen Jahren sich stark genug fühlte, in den vornehmsten Städten Italiens als Improvisatrice aufzutreten. Schnell verbreitete sich nun ihr Name auf den Flügeln des Rufes; sie fand überall Beifall und Belohnung, deren das Talent, wenn es einmal anerkannt ist, in Italien nie ermangelt; und ihr beständiger Umgang mit den geistreichsten und gebildetsten Menschen, die der Zauber ihrer Kunst und ihres Geschlechtes überall um sie versammelte, vollendete schnell die ästhetische Kultur ihres Geistes. Gegenwärtig ist diese Künstlerin im Sommer ihres Lebens und in der Ärnte ihres Ruhms. Seit fünf bis sechs Jahren hat die allgemeine Stimme ihr den ersten Platz unter den Dichterinnen Italiens angewiesen, welchen sie jetzt, nach dem Tode der Corilla, ohne Widerrede behauptet. Nach dem Zeugniß der Kenner, welche beide Dichterinnen genauer gekannt [57] haben, ist die Bandettini der Corilla an poetischem Talent und an unerschöpflicher Dichterader gleich zu schätzen, und übertrifft diese letztere noch in der Reinheit und Eleganz der Dikzion, und in der Anmuth und Delikatesse ihrer Bilder. Der Verfasser hatte im Jahre 1797, während des zweiten Aufenthalts dieser Dichterin in Rom, Gelegenheit, sie zu verschiedenen Malen singen zu hören, und ihr großes Talent zu bewundern. Angelika Kaufmann hat die Bandettini in einem Kniestück von natürlicher Größe, improvisirend, mit einem Ausdruck von Begeisterung gemalt, die vielleicht nur Angelika so innig zu empfinden und so wahr auszudrücken im Stande war, und welcher dies Portrait zu einer ihrer schätzenswertesten Arbeiten in dieser Art machte. *)

Unter den jetztlebenden Improvisatoren behauptet seit verschiedenen Jahren Francesco Gianni den ausgebreitetsten Ruhm, und mit ihm wollen wir diese Nachrichten beschließen. Sein Vater, der ein Schnürbrustmacher in Rom war, that ihn zu einem Kutschenmacher in die Lehre; aber die schwächliche Leibesbeschaffenheit des jungen Gianni, welcher sich bei dieser für ihn zu schweren Arbeit einen Höcker zuzog, erlaubte ihm nicht in diesem Handwerke fortzufahren; und da indessen sein Vater gestorben war, kehrte er zu seiner Mutter zurück, welche in der Verfertigung [58] der zu jener Zeit üblichen Bügelröcke, guardinfanti genannt, geschickt war, und trieb eine Zeitlang das gleiche Handwerk. Um diese Zeit, wo einige geschickte Improvisatori in Rom waren, und wo die wenige Jahre vorher gefeierte Krönung der Corilla noch in frischem Andenken war, hatte sich unter den Jünglingen dieser Stadt eine poetische Epidemie verbreitet. Überall bildeten sich Zirkel junger Leute, die sich im Improvisiren übten. In einem derselben befand sich auch unser Francesco, und ragte bald, obgleich er noch ohne alle Geistesbildung war, durch sein natürliches Talent und durch eine Funkensprühende Begeisterung, unter allen übrigen hervor. Ein Theil dieser jungen Leute stiftete eine Akademie unter dem Namen de’ forti (welche seit Jahren bereits wieder eingegangen ist) und auch Gianni war ein Mitglied derselben und trat in ihr fleißig als Improvisatore auf. Der Beifall, den er sich hier ersang, und das lebhafte Gefühl der Schranken, in welchen die Unwissenheit seinen Geist noch gefesselt hielt, spornten ihn, diese Fesseln, die er länger zu tragen mit Recht für schimpflich hielt, zu zerbrechen und vor allen die Regeln der vaterländischen Poesie zu studiren, von welchen er bis dahin noch keine deutlichen Begriffe gehabt hatte, und deshalb auch noch keinen richtigen Vers machen konnte, nachdem er schon lange improvisirt hatte. Er übte sich in Gesellschaft einiger Freunde, unter der Anleitung eubes Gelehrten, eine [59] Zeitlang in dieser Kunst, und der glückliche Erfolg seines Studiums, worin er seine Gefährten schnell zurückließ, sein immer leidenschaftlicherer Trieb zur Poesie und die immer stärkere Abneigung von jeder anderen Beschäftigung erzeugten in ihm den Entschluß, sich dieser Kunst gänzlich zu widmen. Nach dem eifrigen Studium einiger Jahre, unter unaufhörlicher Übung, fühlte Gianni sich stark genug, öffentlich als Improvisatore aufzutreten. Was ihm noch an wissenschaftlicher Bildung mangelte, die nur die Frucht einer weitläufigen Belesenheit ist, ersetzte sein Genie und der gewaltige estro, durch welchen er alle Zuhörer, gelehrte wie ungelehrte, unwiderstehlich mit sich fortriß; denn schwerlich hat je ein Improvisatore die Gabe sich außer sich selbst zu setzen und angeweht von dem Hauche des Delfischen Gottes, mit Vernunft und Geschmack zu rasen, in höherem Grade besessen, als dieser Dichter. Der damals in Rom lebende Bildhauer Ceracchi, welcher vor einiger Zeit in Paris als Theilnehmer an einer Verschwörung wider Bonaparte hingerichtet wurde, nahm den jungen Gianni als Lehrer seiner Kinder zu sich, und gab ihm auf einer Reise in Oberitalien Gelegenheit, in Florenz, Genua und Mailand als Improvisatore aufzutreten und allgemeinen Beifall zu ärndten. Bonaparte würdigte während seines glänzenden Feldzuges durch Italien im Jahr 1796 den feurigen Dichter, der, von dem Anblick dieses Helden [60] begeistert sich selbst übertraf, seiner Aufmerksamkeit und seines besonderen Schutzes. Der Wirbel der Revoluzion, der seinen Freund Ceracchi in den Abgrund hinabriß, trieb auch ihn eine Zeitlang umher, und er hat die schnell erlangte Vollkommenheit in seiner Kunst zum Theil dem Einfluß der großen begeisternden Ideen zu verdanken, welche in dem letzten Jahrzehnt halb Europa in Enthusiasmus und die andere Hälfte in Erstaunen setzten und Thaten erzeugten, wie die Welt seit den Zeiten der Römer keine mehr gesehen hatte, und die zum Theil unter des Dichters Augen geschahen. Seine feurige Muße überließ sich ganz dem Enthusiasmus der Freiheit und schwelgte in den großen Gefühlen, die dieses Wort noch damals mit der Hofnung besserer Zeiten in jeder Menschenbrust weckte. Als die Franzosen durch das wechselnde Glück der Waffen aus Italien vertrieben wurden, flüchtete er mit den auswandernden Patrioten nach Paris. Späterhin ist der Dichter wieder nach Oberitalien zurückgekehrt. Dieser Improvisatore kann mehr als irgend ein anderer zur Widerlegung des Vorurtheiles dienen, daß die extemporane Dichtkunst nicht fähig sey, sich über das Mittelmäßige zu erheben und etwas mit Vergnügen Lesbares hervorzubringen. Es sind einige Bändchen von Gianni’s improvisirten Gedichten auf Veranlassung seiner Freunde in Druck erschienen, von welchen der größte Theil vielmehr das Gepräge einer in Muße [61] allmählig gereiften Vollendung, als des flüchtigen Augenblicks ihrer Entstehung trägt. Wir würden gern eines derselben zum Beweise des Gesagten mittheilen, wenn die Ende des Raumes es erlaubte. Wir begnügen uns deshalb, blos eine Octave anzuführen, nicht sowohl zum Beweise von der Kunst des Dichters, als vielmehr, weil sie ein Portrait all’improviso des oben genannten Bildhauers Ceracchi enthält, der unter den jetztlebenden Bildhauern einer der vorzüglicheren, und einer der eifrigsten Beförderer der Demokratisirung Roms war. Das Portrait ist übrigens so treffend, als man es von dem Miniaturgemälde einer Octave verlangen kann.

Picciol di membra; di sembianze altero;
Dardeggiante lo sguardo, il ciglio irsuto;
La guancua adusta ingombra di pel nero;
Avvallate le labbia, e'l mento acuto;
D'affetto caldo; di virtù severo;
Intrepido e facondo al par del Bruto;
Anzi cotanto imitator di questo,
Che dal trono balzò l'ultimo Sesto.

In dem Vorberichte der Herausgeber zu Gianni’s Gedichten finden sich die nachstehenden Gesetze verzeichnet, welche dieser Dichter für die Ausübung seiner Kunst sich vorgeschrieben hat: 1) Man improvisire oft und täglich: — denn dadurch wer- [62] den Wiederholung und Einförmigkeit vermieden. 2) Man vermeide die langen Pausen in den Übergängen von einem Theile der Aufgabe zum andern: — Zaudern entspringt aus Überlegung, und im Überlegen schwindet die Begeisterung. 3) Man nehme jede ehrbare Aufgabe von jedem Mitgliede der Versammlung an: — so wird man jedem Verdachte eines verabredeten Betruges ausweichen. 4) Wenn der Inhalt des aufgegebenen Thema’s dem Dichter unbekannt ist, so lasse er sich denselben bekannt machen: — das Reich des Wissens ist unermesslich; von dem Improvisatore ist nicht zu verlangen, daß er Alles wisse, sondern daß er jeden Gegenstand poetisch zu behandeln wisse. 5) Die Versammlung bestimme das Sylbenmaaß: — so wird die Möglichkeit und der Verdacht der Vorbereitung vermieden und die Geschicklichkeit oder Ungeschicklichkeit des Künstlers in der metrischen Kunst sichtbar. 6) Man vermeide alle unnütze Anrufungen, alle außerwesentliche Episoden, alle Gemeinplätze: — denn sie zeugen von der poetischen Armuth des Dichters. 7) Man lasse die Verse während des Improvisirens nachschreiben: — das Auge ist ein unpartheiischerer Richter des poetischen Werthes als das Ohr." — Eben das selbst geschieht eines Advokaten in Genua, Namens Niccolo Ardizzoni, Erwähnung, welcher ein so [63] seltenes Gedächtniß hat, daß er jedes Improviso von Gianni, so lang es auch seyn mochte, unmittelbar darauf wörtlich wiederholen konnte, wie sich aus der Vergleichung mit dem Nachgeschriebenen ergab. Dieser Günstling der Mnemosyne erinnert uns an einen andern Virtuosen ähnlicher Art, Namens Faustino Gagliuffi von Ragusa, welcher ehemals Lehrer der Redekunst am Kollegio der Piaristen in Rom, und nachher Mitglied des Tribunals der Römischen Republik war. Dieser wiederholte mehr als einmal in der Akademie der Arkadier in Rom, wo die Bandettini öfter über fünf oder sechs Themata an einem Abende sang, unmittelbar nachher alle ihre Improvisi extempore in einer lateinischen Übersetzung im elegischen Sylbenmaaße.

Fernow.

(der dritte und letzte Abschnitt folgt im Oktoberstücke)

 

* Sie ist jetzt auf einer Reise nach Wien, Berlin, Hamburg u.s.w. begriffen.

Notes:

Collected by:
EW