Wilhelm Waiblinger, “La donna ambiziosa”

A humorous fictional tale narrated by a German gentleman (Guglielmo), intended as proof that the works of Italian playwright Goldoni are not in fact exaggerated caricatures of Italian life. Guglielmo describes how his friend, an improvisatore, introduces him to an Italian marchesa who is as mellifluously beautiful as she is dull-witted and narcissistic. The two friends conclude that she is a fool.

Performer Name:
Taddei; Sgricci
Performance Venue:
 
Performance Date:
 
Author:
Waiblinger, Wilhelm
Date Written:
1829
Language:
German
Publication Title:
La donna ambiziosa
Article Title:
 
Page Numbers:
4:130-37
Additional Info:
Qtd from Wilhelm Waiblinger Werke und Briefe, Ed. Hans Königer
Publisher:
J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger
Place of Publication:
Stuttgart
Date Published:
1981

Text:

[130] LA DONNA AMBIZIOSA

Wir Deutsche halten insgeheim eben keine großen Stücke auf den italischen Aristophanes, wie Goldoni hier genannt ist, und haben im Ganzen nicht Unrecht. Gern führt uns aber unser kritischer Transalpinismus zu weit, und wir tadeln Dinge, die wir nicht im Mindesten verstehen. Nirgends widerfährt uns dieser Irrtum leichter, als wenn wir ein fremdes Land beurteilen wollen, von dem wir die geographische Karte kennen, etwa ein Dutzend Reisebeschreibungen gelesen, und das wir, wenn’s hoch geht, mit dem Vetturin in einigen Monaten bereist haben. Im wie viel mehr laufen wir aber Gefahr, wenn wir gar einen Autor zu bekritteln haben, der uns g’rade die Sitten seines Landes bald in dieser, bald in jener Form beschreibt. So kann ich selbst nicht leugnen, daß mir die Goldonischen Rosauren gar zu naiv von Liebe und Heirat plauderten, und die Donna ambiziosa mir fast eine Karikatur deuchte, eh’ ich die Italiener genauer kannte. Hätte ich nicht schon so oft erfahren, wie unklug es ist, seine Geheimnisse auszuschwatzen, so könnte ich Ihnen aber, mein Freund, mehr als Ein Beispiel aus eig’ner Erfahrung mitteilen, wie fertig und schnell eine Italienerin uns Cascamorti für Werber hält, und ehe wir auch noch Gelegenheit gehabt, unsere platonische Liebe in einem Sonett auszusprechen, schon jene für unsere Liebesgefühle so abschreckende Frage macht, ob wir sie denn heiraten wollen, wenn sie uns etwa nicht gar den Herrn Papa, oder die Tante, oder den Abate auf den Hals schickt. Was aber die "Donna di maneggio" anbetrifft, so kann ich Ihnen ein Weiteres sagen, und es mag Ihnen zum Beweise dienen, wie gut Goldoni seine Welt kannte, und wie viele lebendige Originale seine Charaktere im Leben haben.

Mein Freund, der Improvvisatore C…, ein junger, schöner und kräftiger Italiener, hat mir schon oft und viel von der Marchesin G… B… E… gesagt, und mir auch eine überaus sublime Ode gebracht, worin er die vornehme Dame in alle Himmel erhebt, ihre Schönheit, ihre Talente, ihre Sensibilität, ihren poetischen Geist preist, der mit seinen holdseligen Liedern selbst die Grazien verschönere, und dem gedruckten Gedicht auch einige Strophen beifügt, welche der spirituösen Dichterin bei’m Abschied von ihrem Landgut entfallen. Und was geschieht? Eines Morgens kommt er [131] zu mir, und bittet mich, der Marchesin eine Visite zu machen, indem er hinzufügt, daß ich erwartet werde, und daß sie einen deutschen Dichter kennen lernen wolle.

Hier ist also kein Entwischen möglich, und man wandert nach Ave Maria in den Palast uns’rer Aspasia. Schon unterwegs sagt mir C…, daß ich Komplimente keineswegs zu sparen habe, und daß ich besonders das poetische Talent unserer ehrgeizigen Dame hervorheben möge. Also man läutet an der Türe des Vorsaals, der Bediente öffnet, man wird in den Gesellschaftssaal geführt, und wartet einige Zeit. Plötzlich stürzt eine Dame aus der Türe, und ich glaube eine Theaterprinzessin zu sehen. Ein überaus voller üppiger Wuchs, die Haltung der Königin Elisabeth, Federn und Bänder in den prachtvoll aufgelockten Haaren, goldene Ketten, Uhren, Halsgeschmeide, Armbänder, alles von Gold, und nun gar die fürstliche Verbeugung, der schmeichelhafte Empfang, die artigen Worte, die sie mir sagt, und die ich mit Schamröte erwidere, ist das nicht zuviel auf einmal für einen Menschen, der am Ende doch nur für einen Landgeistlichen erzogen worden, sich aber frühe schon unter Schauspielern dafür verbildet hat? Und schon weist mir die Feenkönigin auch einen Platz neben ihr auf dem Sofa an; ich lasse mich nieder, und nun erst sage ich: "Wenn ich noch nicht vermögend war, Ihnen auszusprechen, Madame, wie überglücklich ich bin, einer so hohen und unverdienten Gunst gewürdigt zu werden, so schreiben Sie es nur dem überraschenden Eindruck zu, den eine so seltene und erhabene Erscheinung auf meinen Geist gemacht. Wenn ich auch nicht den mindesten Zweifel in jene Strophen unsers C… setzte, worin er Italien das Lob seiner schönsten Frau verkündet, so reicht doch selbst die Imagination auch eines Dichters nicht hin, sich ein Bild zu verschaffen, das nicht von der Wirklichkeit übertroffen würde."

Die Marchesin sieht mich wohlgefällig an, und lächelt höchst gnädig. "Ich bin unserm C… dankbar", fahr’ ich fort, "daß er mich mit dem zartesten Dichtertalent bekannt gemacht, das je eine Dame schmückte, ich meine, indem er seiner Ode jene wunderlieblichen Strophen anhängte, worin Madame die Reize ihrer Villegiatura so unvergleichlich schön beschreibt, daß ich mir dort die Gärten der Armide träume."

"Ach!" versetzt die Marchesin, "gewiß ist meine Villa der holdseligste Landstrich auf der Erde, und C… hat ihn wahr beschrie- [132] ben. Wenn Neapel allerdings einen Vesuv vor ihr voraus hat, so fühl’ ich mich doch in jenem Tumult einer halben Million zu sehr zerstreut, während ich in der ländlichen Einsamkeit meines Santelpidio, abgeschieden von dem Lärm und Rausch der Städterwelt, im Genuß der schönsten Natur und der frischesten Meeresluft, ungestört mir selbst, meinen Gedanken und Studien nachhängen kann. O, was ist nicht die Einsamkeit! Wie froh bin ich, mich aus dem Toben der Straßen, aus Konversation und Theater in mein teures Landgut zu flüchten! Nein, die Einsamkeit ist mir unerläßlich nötig, ist das reinste Glück des Lebens! Pacifica! Pacifica! (Die Cameriera erscheint.) Ich gehe heut Abend zum großen Fest bei’m spanischen Großbotschafter, Sie sind wohn auch eingeladen? es wird überaus brilliant werden! Pacifica, nimm mir diese Uhr mit der goldenen Halskette ab, nicht wahr, ich habe sie nicht nötig? Wozu auch mich damit beschweren? Mir genügt diese hier."

Unglücklicherweise hab’ ich, der Dichter, mein Auge etwas zu stark auf die Reize des Lokals geheftet, von dem das Kammermädchen die Kette abnimmt, und die Marchesin muß zum zweitenmal sagen: "Mir genügt diese hier — ist’s nicht wahr?" Nun erst bemerk’ ich an dem goldnen Armband befestigte strahlende Uhr, welche mir Madame zeigt, und selbst öffnet, und nun bin ich auch alsbald lauter Bewunderung. (Siehe Goldoni.) Bei dem allen aber denken Sie sich die Marchesin, eine wirklich schöne Frau von etwa dreißig Jahren, unbeweglich auf dem Sofa, nur mit dem hochgeschmückten Haupte gnädige Blicke umherwerfend, und zuweilen die Hände bewegend.

"Wir sind wahrhaft unglücklich", spricht sie endlich, "daß es uns nicht vergönnt ist, die Werke Ihrer Muse kennen zu lernen, und daß ich mich damit begnügen muß, Sie von andern loben zu hören. Ich verstand das Deutsche zwar vor sechs Jahren recht gut, ich las die gotischen Lettern fertig ab, aber ich kenne nun auch nicht einmal einen Buchstaben mehr; doch ich will es lernen! Ich will es lernen!"

Der Improvvisatore versetzt: "Einiges, Madame, kann ich Ihnen wohl von Signor Guglielmo mitteilen!"

"O Luigi", ruft die Marchesin heftig, "tu’ es doch!"

"Gewiß, Madame, wird Sie ein Epigramm von Guglielmo interessieren, worin er die Frauen verschiedener Nationen vergleicht: Eine Deutsch, sagt er, für die sentimentale Liebe und für die Kin- [133] derstube; eine Engländerin als Ehefrau wegen der Goldtruhe; eine Französin geputzt, und — eine Italienerin unbekleidet!"

"O!" ruft die Marchesin lachend, "das ist allerliebst, das enthält das höchste Lob für die Italienerin, aber sagen Sie, wie kamen Sie denn eigentlich auf diesen Gedanken?"

"Madame, die Italienerin ist von allen Nationen als die schönste und vollkommenste ihres Geschlechts anerkannt, und wenn man bei uns von einer Römerin spricht, so würde man gar nicht glauben, daß sie häßlich sein kann."

"Aber warum denn?"

"Warum, Madame", fall’ ich schnell ein, indem ich ihr Profil anblicke, und mit dem Finger in der Luft zeichne, "wo auf Erden ist ein so rein und edel gezeichnetes Profil zu treffen, als unter den römischen Antiken und Frauen?"

"Und wo ist es denn, dieses gerühmte Profil?"

"Nirgends hab’ ich es noch in höherer Vollendung gesehen, als an diesem glücklichen Abend."

Lächelnd, und mich zärtlich anblickend, versetzt Madame: "Ich hab’ es wohl vielleicht einmal gehabt, aber ich fiel als ein kleines Kind höchst ungeschickt, und beschädigte das Nasenbein."

Ich versichere, daß in der Nasenlinie auch nicht das Geringste zu bemerken sei, was störe, und finde Glauben.

"Aber Signor Guglielmo", fährt sie wieder fort, "gewiß, Sie sollten mein ländliches Santelpidio sehen! Ich wette, Sie ziehen es Neapel vor! Denn Dichter und tiefe Geister lieben immer die Einsamkeit! Wo finden Sie solche fröhliche verschwiegene Haine, solche murmelnde Bäche, so fruchtbare Campagnen, solch einen glücklichen Himmel, als am Gestade des Adriatischen Meeres? Wie unaussprechlich lieb’ ich meine Einsamkeit!"

"Einsam, Madame, sind Sie wohl nie; stets begleiten Sie die Musen und die Grazien, und wo können Sie sich ungestörter diesem übersinnlichen Umgange weihen, als eben in der gedankenvollen Stille ihrer Villa?" (Ich erhalte gnädige Blicke in Menge.)

"Allerdings lebe ich der Muse! Welch ein Entzücken ist es für mich, zu lernen, mich zu bilden, mir Kenntnisse zu sammeln! Und ach! Leider weiß ich so wenig—"

"Erlauben Sie, daß ich Sie unterbreche, ich halte Sie ab, eine unverzeihliche Sünde gegen sich selbst zu begehen!"

"Nicht doch, ich kenne meine Unwissenheit nur zu sehr; ich bin [134] das Opfer einer traurigen Erziehung und der Vorurteile meines Standes, des es für Schande hält, zu lernen und zu studieren! O hätte es bei mir gestanden, wie hätt’ ich meine Zeit gut angewendet!"

"Ist nicht das schönste angeborene Talent, die Gabe des Dichtens unvergleichbar mehr, als alles mühsam gesammelte Wissen?"

"Ach, ja wohl, eine Dichterin wär ich geworden, nicht wahr, Luigi, ich wäre Improvvisatrice geworden, wenn es mein Stand erlaubt hätte?"

C… bejaht in Hyperbeln. Indem erscheint eine polnische Gräfin mit einem jungen Herrn. Ich erhebe mich, und räume der Dame meine Stelle auf dem Sofa ein. Jetzt aber wird französisch gesprochen. In keinem Punkt ist der Italiener kindischer, als im Plaudern einer Sprache, die er nicht versteht! Kaum weiß er zu sagen: "sans façon — very well — Wein ist gut, Wasser nein!" so bringt er’s in jeder Unterhaltung an, und dieses kindische Renommieren, das eben ein Beweis von Ignoranz in soliden Kenntnissen ist, findet man vom Kellner und Platzlümmel an bis zum Abate und Canonicus, der auch keinen Abend lang verschweigen kann, daß er auf Deutsch bis Zehen zu zählen, daß er "good night", oder gar das griechische Vaterunser zu sagen weiß, und ganz intolerabel hochmütig würde, wenn er so viel Ebräisch verstünde, als ich. Am meisten Achtung aber hat er vor der französischen Sprache, und dennoch ist es eine wahre Seltenheit, einen Süd-Italiener zu treffen, der es auch nur erträglich spricht. Unsere Marchesin nun redet in der Tat erbärmlich schlecht, aber dennoch muß die Unterhaltung französisch geführt werden, obgleich die beiden Polen eben so viel Italienisch verstehen, das heißt so viel als nichts.

Glücklicherwiese nahmen sie bald Abschied, und nun fragt C…, wer der junge Mann gewesen?

"Der Sohn der Gräfin!"

"Ist es möglich, ich hielt sie noch für so jung, als ihn selbst!"

"O", ruft Madame, "das eben nicht! Aber es ist höchst unklug von dieser Polin! Eine Frau von guter Sitte und einigem Ehrgeiz geht immer nur mit dem kleinsten ihrer Kinder aus!"

Der Improvvisatore, der mich nun einmal durchaus interessant für die Dame seiner Muse machen will, fängt sofort an, ein anderes Thema aufzubringen, und zwar eines, das die Saiten der Unterhaltung rascher stimmt. "Ich wünschte nichts, Madame", spricht [135] er, "als daß Ihnen Guglielmo die Geschichte eines Liebesverständnisses erzählte, welches er vor langen Jahren einmal mit einer jungen geistreichen deutschen Dame gehabt! Diese Geschichte ist so reich an wunderbaren und schrecklichen Ereignissen, daß schon die einfachste Erzählung eine Ausgeburt romantischer Phantasie zu sein scheint. Bedenken Sie, Madame, jene Dame verliebte sich in den Dichter, ohne ihn gesehen zu haben, nur durch’s Lesen seiner Poesien, und er sich in sie nur durch’s Hören ihrer Stimme."

"O, dieses seltsame Phänomen der Liebe kenn’ ich wohl", versetzte die Marchesin. "Ich für meine Person muß zwar gestehen, daß ich mich in niemand verlieben konnte, ohne ihn gesehen zu haben, aber, denken Sie, vor wenigen Wochen schreibt mir ein Kavalier von Bologna, daß er mich liebe, daß er mich zärtlich liebe, und dennoch haben wir uns nie gesehen!"

"Wie glücklich", sage ich, "dieser fühlende Bologneser, der sein Ideal übertroffen sieht, wenn er Madame erblickt, während das poetisch imaginäre Bild, das etwa ein Frauenzimmer von mir fassen könnte, nur zu sehr zu meinem Nachteil in die Prosa herabgestimmt würde, wenn es mich in Person erblickte, und mein unklassisches Profil sähe, das eine römische Freundin gerne verspottet, indem sie die Nase mit einem rampino, und die hohe Stirne mit der capitolinischen Treppe, Scala di Marforio und Magnanapoli vergleicht."

Man lacht und findet mich witzig. Jetzt fährt der Improvvisatore fort: "Wenn Ihnen, Madame, schon der Anfang dieses Liebesverhältnisses höchst phantastisch und romanhaft erscheint, so werden Sie erstaunen, wenn Sie weiter hören. Diese beiden jungen Liebenden lebten drei Vierteljahre in Einer Stadt, fast in einem Zimmer zusammen, und dennoch schrieben sie sich über sechshundert Briefe. Tage- und Nächtelang brachten sie, Herz an Herz, in einem geschlossenen Gemache zu, und dennoch berührten sie sich nicht."

Ich wurde schamrot, und zwar um so mehr, als die Marchesin sich lebhaft an mich wendet, und eine ungläubige Miene macht. "Ist es möglich", ruft sie lachend, "tutta la notte!" und C… fiel ein: "Und dennoch wurde dieses non plus ultra von platonischer Liebe, das unserm Guglielmo den feurigsten Schwung gab, in seinem Vaterlande von Freunden und Bekannten, Professoren und Geistlichen, Ephorat und Consistorium für einen Ausbund von [136] sinnlich verbrecherischem Umgang gehalten, und der Charakter unsers guten Dichters fast von allen rechtgläubigen Christen für ein monstruoses moralisches Unding ausgeschrieen. Mütter beschworen ihre Söhne, Lehrer ihre Zöglinge, den Jungendverführer wie den Antichrist zu fliehen, seine Freunde wurden seine Feinde, seine Gönner haßten ihn, die Pfarrherren warnten ihre Töchter vor ihm—"

"Und das alles", fällt die Marchesin ein, "wegen dieser platonischen Liebe?"

"O, noch mehr", erwidert C…, "denn nun erst begann die Geschichte einer Kette von schauderhaften Begebenheiten, von Mord, Brand, Gefängnis, Prozeß und Verleumdungen, die das Unglaubliche übersteigen."

Jetzt will die Marchesin die Geschichte hören, und ich antworte: "Ein andernmal, Madame, will ich Ihnen gern meine Leiden erzählen, so ungern ich es tue!"

"Und warum ungern?"

"Weil es mich an die Periode meines Lebens, an die Verhältnisse, an die Menschen erinnert, die ich am liebsten vergessen möchte, und die mir auch jetzt schon wie Hirngespinste vorkommen, die ich im Taumel eines wüsten Rausches oder eines Fiebertraumes gesehen."

"Aber wenn Sie wieder in Ihr Vaterland zurückkehren?"

"Das liegt noch ferne, und ist ungewiß! Ich hasse mein Vaterland nicht, aber es wäre mir, wenn ich dahin zurückkehrte, wie einem Wanderer, der die Klippe wieder vorbeifährt, wo er Schiffbruch gelitten, oder der in dasselbe Haus zurückkehren müßte, wo er mißhandelt, belogen, betrogen, gelangweilt worden, und fast die Gesundheit des Leibes und der Seele verloren. Das vermeidet er gewiß immer, und so will ich denn, wenn ich einst einmal wieder über die Alpen gehe, dem Haß und Ekel der Heimat ausweichen, und mein Heil weiter gegen Norden versuchen."

"Und wohin würden Sie denn gehen?"

"Madame, der gute Gott weiß es! Am meisten wünsche ich mir, Berlin zum Aufenthalt zu bekommen."

"Aber dort spricht man ja nicht Deutsch!"

"Preußisch, Madame, redet man in Berlin!"

"Daß hab’ ich mir doch gleich gedacht, Luigi", versetzte die Marchesin, sich zum Improvvisatore mit äußerster Selbstgefälligkeit [137] wendend. "Diese Sprache will ich lernen! Ich fasse schnell und leicht!"

Indem kommt der Kammerdiener und bringt fünf Briefe an Ihre Exzellenz, die Marchesa G… B… E… (Goldoni.) Sie erhebt sich mit rauschendem Gewand, zuvor noch ruft sie: "Pacifica! Pacifica! (Die Camariera erscheint.) Ein Halstuch!"

Es wird ihr um den hohen römischen Nacken gelegt, und nun betrachtet sie die Überschriften: "Ach, das ist vom Grafen Errighi in Spoleto — das ist vom Cavalier Bandini in Rimini — das, mein’ ich, wäre die Hand des Herzogs von…" Sie erbricht den Brief, liest einige Zeilen, wirft ihn auf den Tisch, setzt sich wieder auf das Sofa und sagt: "Morgen muß ich zum Kardinal Cacciapiatti gehen."

Man spricht noch von diesem und jenem, von meinem Almanach über Italien, von Rosa Taddei, von Sgricci, von verschiedenen italienischen Autoren, vom Improvisieren, bis der Kammerdiener auftritt und verkündet, daß der Wagen bereit stehe.

Wir Beiden erheben uns, und die Marchesin sagt: "Wir gehen zusammen die Treppen hinab." Der Cavaliere servente erscheint, der Herr Gemahl gleichfalls, er macht mir einige Bücklinge, sagt, daß er mich schon im Sankt Peter gesehen, und entfernt sich. Die Marchesin hebt an, mir eine Verbeugung zu machen, und sich also zu äußern: "Signor Guglielmo! Mir war es ein inniges Vergnügen, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, ich —" Freund, ich erröte über die köstlichen Dinge, die sie mir sagte, und Sie können sich vorstellen, daß ich meinerseits dreimal stärker lud, die Einladung, jeden Abend zu erscheinen, mit begeistertem Dank annahm, aber das wissen Sie nicht, daß ich ihr, dem Cavaliere servente zum Trotz, den Arm reichte, sie die Treppen hinabführte, ihr vor dem Wagen die Hand küßte, forteilte, und zu meinem Freund, dem Improvvisatore sagte: "Das ist doch die größte Närrin, die ich je auf Erden gesehen."

Notes:

No. 1 of "Skizzen aus Italien"

Collected by:
AE