- Performer Name:
- Performance Venue:
- Performance Date:
- Author:
- Goethe, Johann Wolfgang von
- Date Written:
- Language:
- German
- Publication Title:
- West-östlicher Divan
- Article Title:
- Naturformen der Dichtung; Pietro della Valle
- Page Numbers:
- 1.3(1):206-208; 1.3(1):251
- Additional Info:
- Qtd from Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, section I, vol. 3, part 1, ed. Hendrik Birus
- Publisher:
- Deutscher Klassiker Verlag
- Place of Publication:
- Frankfurt am Main
- Date Published:
- 1994
Text:
[206] NATURFORMEN DER DICHTUNG
Es giebt nur drey ächte Naturformen der Poesie: die klar erzählende, die enthusiastisch aufgeregte und die persönlich handelnde: Epos, Lyrik und Drama. Diese drey Dichtweisen können zusammen oder abgesondert wirken. In dem kleinsten Gedicht findet man sie oft beisammen, und sie bringen eben durch diese Vereinigung im engsten Raume das herrlichste Gebild hervor, wie wir an den schätzenswerthesten Balladen aller Völker deutlich gewahr werden. Im älteren griechischen Trauerspiel sehen wir sie gleichfalls alle drey verbunden und erst in einer gewissen Zeitfolge sondern sie sich. […]
[207] Höre man aber nun den modernen Improvisator auf öffentlichem Markte, der einen geschichtlichen Gegenstand behandelt; er wird, um deutlich zu seyn, erst erzählen, dann, um Interesse zu erregen, als handelnde Person sprechen, zuletzt enthusiastisch auflodern und die Gemüther hinreißen. So wunderlich sind diese Elemente zu verschlingen, die Dichtarten bis ins Unendliche mannigfaltig; und deßhalb auch so schwer eine Ordnung zu finden, wornach man sie neben oder nach einander aufstellen könnte. Man wird sich aber einigermaßen dadurch helfen daß man die drey Hauptelemente in einem Kreis gegen einander überstellt und sich Musterstücke sucht, wo jedes Element einzeln obwaltet. Alsdann sammle man Beyspiele die sich nach der einen oder nach der andern Seite hinneigen, bis endlich die Vereinigung von allen dreyen erscheint und somit der ganze Kreis in sich geschlossen ist.
Auf diesem Weg gelangt man zu schönen Ansichten, sowohl der Dichtarten, als des Charakters der Nationen und ihres Geschmacks in einer Zeitfolge. Und obgleich diese Verfahrungsart mehr zu einer Belehrung, Unterhaltung und Maßregel, als zum Unterricht anderer geeignet seyn mag, so wäre doch vielleicht ein Schema aufzustellen, welches zugleich die äußeren zufälligen Formen und diese inneren nothwendigen Uranfänge in faßlicher Ordnung darbrächte. Der Versuch jedoch wird immer so schwierig seyn als in der Naturkunde das Bestreben den Bezug auszufinden der äu- [208] ßeren Kennzeichen von Mineralien und Pflanzen zu ihren inneren Bestandtheilen, um eine naturgemäße Ordnung dem Geiste darzustellen.
[…]
[251] PIETRO DELLA VALLE
Aus einem uralten römischen Geschlechte das seinen Stammbaum bis auf die edlen Familien der Republik zurückführen durfte, ward Pietro della Valle geboren, im Jahre 1586 zu einer Zeit da die sämmtlichen Reiche Europens sich einer hohen geistigen Bildung erfreuten. In Italien lebte Tasso noch, obgleich in traurigem Zustande; doch wirkten seine Gedichte auf alle vorzügliche Geister. Die Verskunst hatte sich so weit verbreitet, daß schon Improvisatoren hervortraten und kein junger Mann von freyern Gesinnungen des Talents entbehren durfte sich Reimweis auszudrücken. Sprachstudium, Grammatik, Red- und Stylkunst wurden gründlich behandelt, und so wuchs in allen diesen Vorzügen unser Jüngling sorgfältig gebildet heran.
Notes:
- Collected by:
- AE