Wilhelm Waiblinger, Dichtungen aus Italien

Three short poems on Taddei, Sgricci, and relatively unknown Italian improvisatori of the lower classes are accompanied by Waiblinger’s detailed notes describing some of the performances he witnessed and references in the poems.

Performer Name:
Sgricci; Taddei
Performance Venue:
Rome
Performance Date:
1827
Author:
Waiblinger, Wilhelm
Date Written:
 
Language:
German
Publication Title:
Dichtungen aus Italien
Article Title:
Rosa Taddei; Sgricci; Improvisatori
Page Numbers:
1:252-54
Additional Info:
Qtd from Wilhelm Waiblinger Werke und Briefe, Ed. Hans Königer
Publisher:
J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger
Place of Publication:
Stuttgart
Date Published:
1981

Text:

[252] ROSA TADDEI*

Träumt’ ich die Muse zu sehn, so laß mir den Wahn, auf Papier nur, 
	Doch auf lebendigem Mund sah ich noch nie ein Gedicht

[253] SGRICCI**

Sicherlich ist’s zum Erstaunen, er improvisiert im Fluge
	Wie der Wind so ein Ding, wie ‘ne Tragödie, her. 
Jahre studieren andre daran, ein Abend genügt ihm, 
	Wie sie an Einem entsteht, so auch vergeht sie an ihm. 

IMPROVISATORI

Wie sie singen, wie sie die Muse befeuert, wie wütend
	Sie im entzündeten Kampf wechselnd beginnen ein Lied:
Bauern sind es zwar nur, Sackträger und Pizzicarole,***
	Stiefelputzer und solch Lumpengesindel der Stadt.
[254] Aber sie sind mir lieber, denn ihresgleichen in Deutschland, 
	Die man zwar nirgends liest, aber zu Tausenden druckt. 

* Rosa Taddei, unter den Arkadiern Licoris genannt, gab im Carneval 1827 sechs Akademien in Rom. Ich habe eine Schilderung von ihr nach Deutschland gesandt, kann aber nicht darauf verweisen, weil ich in der Tat nicht weiß, ob sie gedruckt worden. Die Dichterin erschien in dem Moment der Begeisterung schlechterdings als solche, und Graf von Platen, mit dem ich die Akademie im Teatro Capranica beiwohnte, war hingerissen, wie ich. Sie improvisierte zur Begleitung einer Harfe sechs bis acht Gedichte in allen möglichen Versmaßen, häufig auch mit Intercalaren. Jeder konnte beim Eintritt seine Aufgabe einhändigen. Der Anstand und die Simplizität der Arkadierin, die blasse Physiognomie und der leidende Audruck des Gesichts interessierte schon zu Anfang. Als aber die Themen alle gelesen und gezogen waren, als sie allein auf der Bühne stand, als die Harfe präludierte, als sie einigemal sinnend umherwandelte, und nun urplötzlich der Geist sie ergriff, ihr bis dahin so leidendes Angesicht einer Begeisterten glich, und sie in der hohen einfachen Melodie zu singen anhub, eine Ottave nach der andern vollendete, in immer raschere Flammen geriet, als von allen Seiten bei trefflichen Stellen ein rauschender Beifall ausbrach, da meint’ ich, daß ich mich in einem der dichterischsten Augenblicke meines Lebens befände. Sie brachte wirklich Gedanken vor, welche auch bei kälterm Blut erfreut hätten, in diesem stürmischen Moment aber auf dieser lauter Wohlklang und Gleichmaß tönenden Lippe gewaltsam erschütterten. Es ist in Spoleto ein Heftchen ihrer Impromptu’s gedruckt worden, und ich habe darin Vieles gefunden, was con poetischem Werte war, un unzähliges, was von unglaublicher Gewandtheit im Denken und Sprechen, und von einem ausnehmenden Talent zeugt, eine Erinnerung geistreich einzuflechten. In Thorwaldsens Studium ist ihre Büste zu sehen. Ausgezeichnet lebendig benimmt sich das itelienische Volk bei solchen Gelegenheiten: in meiner Nachbarschaft saßen einige Bursche von der niedrigsten Klasse, wie sich ihrer überall auf dem Parterre der italienischen Theater befinden, welche die Reime voraussagten, ehe die Improvisatrice sie aussprach. Als einmal über die Wahl von zwei Themen entschieden werden sollte, rief eine treuherzige Stimme von der Galerie herab: "Cantate pure, che volete, mi piace tutto". Ein unermeßlich Gelächter entstand, und Rosa lächelte selbst.

** Der Cavaliere Sgricci improvisierte im Carneval 1827 in zwei Akademien, auch in Rom, jeden Abend eine Tragödie mit Chören. Seine Übung und Gewandheit ist unstreitig größer als die der Taddei, allein eine Tragödie a improvviso ist eine freche Ciarlataneria, während das minder schwierige, und mögliche Improvisieren einer lyrischen Poesie zu Gesang und Begleitung seinen Eindruck nicht verfehlt.

*** Wer hat nicht schon von dem Dichtertalent des gemeinen Volks in Italien gehört? Ich habe anderswo darüber manches mitgeteilt. Im verflossenen Winter brachte ich halbe Nächte im berüchtigten Caffè degli Specchi auf der Piazza Colonna unter der niedrigsten Volksklasse zu, welche sich mit Improvisieren unterhielt, bis man drei oder vier Stunden nach Mitternacht sie forttrieb. Ein Pizzicarol, oder Wurst- und Käsehändler, hatte vor einigen Jahren in Rom einen besonderen Ruf. Scharen von Menschen liefen ihm oft nach, wenn er durch die Stadt ging, und er sang auf allen Plätzen, an allen Ecken.

Notes:

 

Collected by:
EW