- Performer Name:
- Performance Venue:
- Performance Date:
- Author:
- Date Written:
- 1809
- Language:
- German
- Publication Title:
- Morgenblatt für gebildete Stände
- Article Title:
- Über die sogenannten Spruchsprecher im Mittelalter
- Page Numbers:
- 1157-59
- Additional Info:
- 5 December 1809 issue (No. 290)
- Publisher:
- J. G. Cotta’sche Buchhandlung
- Place of Publication:
- Stuttgart
- Date Published:
- 1809
Text:
Unter dem deutschen Kaiser Friedrich II* blühte das goldene Zeitalter des deutschen Minnegesanges, und der Enthusiasmus für Dichter und Dichtkunst, welcher die Regierung der schwäbischen Kaiser so ruhmvoll auszeichnet, erreichte unter ihm seinen höchsten Grad. Der Kaiser zog eine Menge Dichter an seinen Hof, behandelte sie mit ausgezeichneter Achtung, und belohnte sie kaiserlich. Gerade so wie König Karl in der Jungfrau von Orleans zu der Chatel sagt:
Edle Sänger dürfen
Nicht ungeehrt von meinem Hofe ziehn.
Sie machen uns den dürren Scepter blühn
Sie flechten den unsterblich grünen Zweig
Des Lebens in die unfruchtbare Krone,
Sie stellen herrschend sich den Herrschen gleich,
Aus leichten Wünschen bauen sie sich Throne,
Und nicht im Raume liegt ihr harmlos Reich;
Drum soll der Sänger mit dem König gehen,
Sie beyde wohnen auf der Menschheit Höhen.
Viele der übrigen Fürsten Deutschlands folgten seinem Beyspiele, beschäftigten sich selbst voll inniger Liebe mit der Dichtkunst, und stellten an ihren Höfen eine Art poetischer Turniere oder Wettkämpfe an.** Man glaubte damals, was Goethe im Torquato Tasso sagt:
Ein Feldherr ohne Heer scheint mir ein Fürst,
Der die Talente nicht um sich sammelt.
Und wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt,
Ist ein Barbar, er sey auch, wer er sey.
Ein edler romantischer Geist waltete damals über Deutschland. Die finstere Scholastik war in die Zellen einfältiger Mönche verwiesen; die leichte, gemüthliche Philosophie des Lebens streute allenthalben ihre lieblichen Blumen aus. Leutseligkeit und Großmuth, Rittertreue und Tapferkeit, ein frommer gläubiger Sinn und eine schwärmerische Liebe für das schöne Geschlecht – das waren die Tugenden, welche die Höhern in der deutschen Nation zierten. Mußte nicht unter solchen freundlichen Umgebungen die sanft begeisternde Stimme der Dichtkunst geweckt werden?
Mit dem vierzehnten Jahrhundert erlosch der schöne Geist des Ritterwesens und des Minnegesanges. Ein böser furchtbarer Geist zog über Deutschland hin, und es ward nun der Tummelplatz von Fehden und Kriegen, von Räubereyen und Gewaltthaten. Da floh die heilige Dichtkunst, und aus dem ehemaligen Orden der Minnesänger entstand die Zunft der Meistersänger,*** elende Reimer, die ohne Geist und Beruf, ohne Kenntniß der Sprache und des Silbenmaßes ihr jämmerliches Machwerk nach gewissen Tönen (Melodien) absangen.**** Die erhabenste und edelste aller Künste ward von jetzt an ganz zunft- und handwerksmäßig betreiben, und eben deshalb ward jeder bessere Geschmack für immer aus dieser Zunft verbannt. Zwar durften sie auch bisweilen an den Höfen der Fürsten erscheinen, wurden dann aber gewöhnlich mit den Hofnarren in eine Klasse gesetzt.*****
Mit diesen Meistersängern muß man aber die Spruchsprecher, die mit ihnen gleichzeitig waren, nicht verwechseln. Diese standen noch um viele Stufen tiefer, und ihr Machwerk war wo möglich noch sinnloser und elender. Die Spruchsprecher standen unter einander in gar keiner zunftmäßigen Verbindung, mussten jedoch von der Obrigkeit in ihrem Amte bestätigt seyn. In jeder größern Stadt, besonders in den freyen Reichsstädten, hielt sich gewöhnlich einer aus dieser Kaste auf, der ein ausschließliches Privilegium besaß, sein Tagwerk frey und ungehindert zu treiben. Sie pflegten bey Hochzeiten und fröhlichen Gelagen geringer Leute, oder auch bey öffentlichen Volks-Lustbarkeiten aufzutreten, und zu Ehren des Brautpaars, des Gastgebers oder des Festes selbst eine lange gereimte Rede (einen Spruch) zu halten. War diese Rede beendigt, so stand des den Gästen frey, dem Spruchdichter irgend einen Gegenstand aufzugeben, worüber er alsdann aus dem Stegreife einige Reime hersagen mußte. Dies gab Veranlassung zum fröhlichen Scherz, und der Spruchsprecher erhielt für seine Mühe von jedem der Gäste oder von dem Gastgeber allein ein Geschenk an Gelde. […]
Man hat bisweilen diese Spruchsprecher mit den Improvisatoren in Italien verglichen; aber jene dürfen diesen wahrlich das Wasser nicht reichen. Man höre nur, was ein erfahrener und einsichtsvoller Reimender darüber sagt: "Das Talent de Dichtens aus dem Stegreife (Improvisatoriren) wird in Italien mitten unter dem Verfalle noch immer häufig gepflegt; freylich mit verschiedenem Glücke und in mannigfaltigen Abstufungen der Würde und des innern Werthes. Wir hatten Gelegenheit manche Proben davon zu hören, die durch Anmuth des Ausdrucks, Fülle der Bilder und Leichtigkeit der Wendungen erfreulich waren, ja durch unglaubliche Meisterschaft in den schwierigsten Sylbenmaßen und durch schnelle Erfindsamkeit in Erstaunen setzten."****** An alles dies war bey den Spruchsprechern auch nicht auf die entfernteste Art zu denken.
C.W.Sp.
* Er regierte von 1218 bis 1250.
** Von so einem Wettstreite ist noch eine Probe aus dem Kriege zu Wartburg im Jahre 1207 übrig.
*** Man sehe über die Geschichte der Minnesänger Eichborns Geschichte der Kultur und Literatur; erster Theil, S.219 u.f.
**** Sie hatten z.B. den Rosenton, den Maynzerton, den Hohenberg-Weißenschen Ton u.a.
***** Die ganze Verfassung dieser deutschen Meistersängerkunst lernt man am vollständigsten kennen aus einer alten jetzt sehr selten gewordenen Schrift von Joh. Chr. Wagenseil de Germaniae Phonascorum (Meistersänger) origine, praestantia, utilitate et institutis. Altdorf 1697.4.
****** Ein Recensent in der Jenaer allg. lit. Zeit. Nro. 152
Notes:
- Collected by:
- EW