“Briefauszug. Herr Eugène de Pradel”

This excerpt from a letter disparages improvisation as an art, instead likening it to a bureau such as Eugène de Pradel is reported to have established in Paris, where cash is exchanged for all manner of poetic products. The correspondent regards improvisation, especially the improvisation of tragedies in the style of Sgricci and Pradel, as a skill that resembles the combinatorics of medieval philosopher Raimundus Lullus.

Performer Name:
Pradel; Sgricci
Performance Venue:
Paris
Performance Date:
1824
Author:
 
Date Written:
1824
Language:
German
Publication Title:
Morgenblatt für gebildete Stände (Literatur-Blatt)
Article Title:
Briefauszug. Herr Eugène de Pradel
Page Numbers:
168
Additional Info:
25 May 1824 issue (No. 42).
Publisher:
J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Place of Publication:
Stuttgart
Date Published:
1824

Text:

Herr Eugene de Pradel hat hier (in Paris) einen französischen Improvisator etabliert. Etabliert? fragen Sie. Es ist ganz das passende Wort, denn sein Improvisator ist ein Bureau, in welchem man fertige Gedichte auf allerley Gegenstände, Operntexte, Bravour-Arien, Lustspiele u.s.f. gegen gleich baare Bezahlung haben kann. Die Veranlassung zu diesem wunderlichen Aushängeschilde hat natürlich die Erscheinung des vielbesprochenen Sgricci gegeben, der, wie Sie gelesen haben werden, hauptsächlich Tragödien improvisirt. Wer es so gut weiß, wie Sie, was es eigentlich sagen will, eine gute Tragödie zu dichten, der weiß auch gewiß und gleichsam a priori, was von improvisirenden Tragödiendichtern zu halten ist. “Man muß,” sagten Sie einmal, “für den Stoff in Liebe entbrannt seyn, und mit den Personen, deren Handlungen und Charaktere man darstellen will, eine Weile umgegangen seyn; man muß so zu sagen einen Scheffel Salz mit ihnen gegessen haben.” Bey’m Improvisiren kann natürlich davon nicht die Rede seyn. Die ganze Sache, glauben Sie es mir, der ich Hrn. Sgricci scharf beobachtet habe, ist durchaus nichts weiter, als ein scholastisches Kunststückchen, augeführt mit Hülfe der, weiland in der Philosophie so verrufenen, Combinationskunst des Raimund Lullus. Daß nach der Lullistischen Methode echte Kunstwerke nicht zusammengesezt werden können, am wenigsten von der höchsten Gattung der Poesie, ist für sich klar; aber eben so klar ist der Grund, warum die Improvisatoren gerade in der Tragödie sich so gern versuchen. Die Kunstphilosophie hat, seit Aristoteles, keine Gattung von Dichtwerken so vollständig analysirt und in ihre Elemente zerlegt, als die Tragödie, und sobald ein historischer Stoff genannt wird, fällt es einem gewandten Lullisten auch nicht schwer, einige Tragödien-Elemente daraus aufzufassen, und damit einigen Scenen, welche die gegebene Fabel nothdürftig verbindet, und einigen pathetischen Monologen, für welche die Fabel die Person liefert, den Anstrich einer schnell entstehenden Tragödie zu geben. Es gehört dazu nichts, als daß man vorher über die Hauptarten der verschiedenen tragischen Situationen viel phantasirt habe (im Sinne der Musiker), daß man einen Vorrath solcher eignen Phantasien (oder auch Reminiscenzen aus Dichtern) im Gedächtnisse besitze, und daß man gewandt genug sey, das Passende davon dem gegebenen geschichtlichen Stoffe und den darin als handelnd vorkommenden Hauptpersonen zu adoptiren. Die Dreistigkeit, die Schauspielerhaftigkeit, womit so etwas vorgetragen wird, die Schnelligkeit, womit die ganze Erscheinung vorüberrauscht, und die Gutmüthigkeit eines befangenen, und nur allzugern erstaunenden Publikums, vollenden sodann das Werk der scholastischen Combinationskunst. Kurz, mir ist die Kunst des Herrn Sgricci, wie die aller seiner Vorgänger, die ich hörte, genau wie ein dreist geübtes Handwerk vorgekommen, und für etwas mehr kann ich dieselbe nicht passiren lassen, trotz aller Posaunenstöße der Zeitungsschreiber, die eben so gern Erstaunliches berichten, als ihre Leser es lesen. Ich bin sehr überzeugt, daß so eine improvisirte Tragödie, wenn sie, unverbessert und ungefeilt, gelesen oder auf der Bühne gesehen werden sollte, das Publikum völlig kalt lassen und langweilen würde, wenigstens in Deutschland, wo man für die Tragödien keinen Leisten anerkennt, uns wo der Kunstsinn sich abwendet von den Geistes-Producten, die wie Schuhe verfertigt worden sind. Daß er dafür oft mit solchen vorlieb nimmt, die gleich den Pilzen wachsen, das gehört nicht hieher.

Genug, des Herrn de Pradel Improvisator ist, wenn auch unabsichtlich, ein erklärendes Symbol der angestaunten Erscheinung der Improvisirkunst. Der Kopf solch eines Stegreifpoeten ist nichts anderes, als ein de Pradel’sches Bureau.

Notes:

The Literatur-Blatt follows a separate page and volume numbering system from the usual Morgenblatt, since it is a supplement.

Collected by:
EW