Karl August Böttiger, “Der Veronesische Improvisator Scotes”

Böttiger describes the talents of the improvisatore Pietro Scotes by recounting in detail a performance by Scotes that he himself was witness to. The subjects of Scotes’ performances include the flight of the muses from Greece to Italy, a sketch of the viewership of Italian theatre, and Sappho’s final monologue before her suicide.

Performer Name:
Scotes
Performance Venue:
Weimar
Performance Date:
1802
Author:
Böttiger, Karl August
Date Written:
1802
Language:
German
Publication Title:
Journal des Luxus und der Moden
Article Title:
Der Veronesische Improvisator Scotes
Page Numbers:
394-97
Additional Info:
 
Publisher:
 
Place of Publication:
Weimar
Date Published:
1802

Text:

[394] Hr. Scotes war uns von Dresden und Berlin aus mit so ungewöhnlichen Lobeserhebungen angekündigt worden, daß allerdings die Erwartung sehr gespannt, und schon darum eher gegen als für ihn seyn mußte. Aber der tadelsüchtigste der Götter, und wäre er eben aus dem Boudoir seines alten Freundes Lucan selbst hergekommen, würde das unvergleichliche Talent dieses Virtuosen in allen freien Improvisatorkünsten unangefochten gelassen und sich höchstens nur so, wie einst an den knisternden Pantoffel, so hier an gewisse Eigenheiten des Vortrags und der Stimme gehalten haben. Nachdem Herr Scotes hier in einigen höchst achtungswürdigen Privatzirkeln die auffallendsten Proben seiner vielversuchten Fertigkeit und Gewandtheit gegeben und überall den ungetheiltesten Beifall eingeärndet hatte, hielt er heute Abends eine öffentliche Akademie vor einem zahlreichen Publikum, unter welchem sich mehrere ganz kompethente und zum Theil in Italiens Kunstgarten, wo diese Pflanze allein noch einheimisch ist, mit allen Eigenheiten derselben vertraut gewordene Zuhörer befanden. Der Künstler gestattete sich keine der sonst gewöhnlichen Erleichterungsmittel, als Begleitung von einem Instrument, weit hergeholte Episoden, Gemeinplätze, Einleitungen, Compli-[395]-mente. Nur wenige Augenblicke, nachdem die Aufgabe gesprochen ist, und ein unausfaltsamer Strom harmonischer Reden entquillt schon seinem Innern und rauscht unaufgehalten dem vorgesteckten Ziele zu. Die erste Aufgabe war die Flucht der Musen aus Griechenland nach Italien, ein Thema, dessen überströmenden Reichthum der verständige Künstler überall sehr gut zu beherrschen und durch eine feine Anordnung lichtvoll darzustellen wußte. Durch eine Galerie der berühmtesten Dichternamen aus dem alten Griechenland und dem alten und neuen Italien, wovon jeder ein charakteristisches Tableau aus seinen Gedichten beitragen mußte, führte uns der bekannte Schnellsänger, um einmal mit Hrn. Campe zu reden, zu der jetzigen traurigen Lage seines, durch Krieg und Parteigeist verödeten Vaterlandes und begleitete nun die Musen, die jenen Schrecknissen entflohen, über die Alpen in das friedliche Teutschland der geistreichen und selbst als Dichterin berühmten Dame gegenüber, die diese Aufgabe auf dringendes Bitten der Gesellschaft ausgesprochen hatte. Einigen Anwesenden schien dieser Gegenstand für einen solchen Dichter zu leicht. Der Herr Geh. Rath v. Goethe nannte also ein weit beschränkteres, aber eben darum wahren Künstler zum Aufgebot seiner ganzen Dichterschätze noch willkommeneres Thema: das Vergnügen eines italienischen Zuschauers in einem Nationallustspiel an den vier bekannten Charaktermasken. Mit sichtbarer Freude ergriff der stets fertige Improvisator diesen Stoff fast ohne alles vorhergehende Nachdenken, und nachdem er im Eingang diesen Gegenstand sehr sinnreich mit dem vorhergehenden verknüpft und gezeigt hatte, daß jetzt nicht Zeit zur ängstlichen Wehklage, sondern zur lachenden Fröhlichkeit sey, zeigte er mit der le-[396]-bendigsten Anschauung und einer treffenden Mimik alle charakteristischen Eigenschaften des Arlechino, Pantalone, Brighella und Tartaglia, indem er sie durch eine ganze Reihe komischer Situationen durchführte und mit dem ganzen unerschöpflichen Reichthum ächtitalienischer Lazzi, soweit sie die Sprache aufnimmt, und burlesker Einfälle ausstattete. Auch hier, wie bei jeder andern Gelegenheit, zeigte sich die, an Künstlern seiner Art besonders seltene, ihm aber ganz eigene Fertigkeit einer klaren Exposition. Erst zeichnete er jene scherzhaften Figuren nur in allgemeinen Umrissen, dann ging er sie aufs Neue mit belebender Ausführlichkeit durch. Rauschender Beifall beschloß diese Szene, der doch nur gerechte Anerkennung des erprobten Verdienstes war. Nun erbat er sich eine Situation aus dem alten Fabel- und Dichtungskreis. Sapphos Monolog, ehe sie sich vom Leucadischen Felsen stürzte, wurde beliebt. Hierauf verlangte er einen Intercalare, oder in jeder Strophe wiederkommenden Vers. Folgender wurde niedergeschrieben:

Ponga fine omai la morte
Al mio barbaro penar

Endlich wurde jeder Anwesende aufgefordert, irgendeinen Reim auf morte aufzuschreiben. In der reimreichsten Sprache waren fünfzehn schnell zusammengebracht. Kaum waren diese in die Hände des gleichfalls anwesenden Hrn. Jagemanns gegeben, so begann auch schon das Improvisiren einer schmelzenden sanft durchgeführten Heroide, wobei immer nach Endigung der vier ersten Verse Hr. Jagemann jeder Strophe stets einen Reim vorsagte, den der Improvisator stehenden Fußes, ohne sich nur ei-[397]-nen Anschein von Aufschub zu gestatten, so geschickt einflocht, als hätte nur dieser Reim allein hier seine Stelle verdient, und dann mit obigem Refrein die Strophe schloß. So viel Reime, so viel Strophen, jede neu gewandt, jede im Karakter der verzweifelnden Sappho mahlerisch durchgeführt, das Ganze in einem ununterbrochenen Fluß von Wohllaut und sanftathmender Klage, so widerspenstig und komisch auch einzelne Reime allein für sich schienen. Das Erstaunen der Zuhörer konnte nach einer solchen Probe schwerlich höher steigen, und so brach die Gesellschaft, vollkommen befriedigt, auf, obgleich Hr. Scotes gern noch einige Sujets behandelt hätte, und diesen Wunsch auch laut genug zu erkennen gab.

Möge diesem seltnen Künstler nie ein Kunstliebendes Publikum fehlen! Er kommt, wohin er kommt, stets mit der besten Gesellschaft, im Geleite der Musen, an deren im Alterthum gepriesenen Begeisterungen und Eingebungen man bei seinem Anblick wirklich zu glauben anfängt. Er ist dabei selbst ein sehr gebildeter, angenehmer Gesellschafter, und besitzt die französche und teutsche Sprache so gut, daß er in beiden sogar kleine Impromptus mit Glück zu dichten versuchte.

Böttiger

Notes:

Dated 15 June 1802.

Collected by:
DP